Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
eine kalte Nacht, und ihr Atem wurde zu Nebel vor dem Mund. Goran nahm seinen Umhang und legte ihn um Kataras Schultern.
«Die letzten Tage waren nicht leicht für dich. Wenn es nach mir gegangen wäre, so hätte ich dich nicht auf diese Hetzjagd mitgenommen. Es war Drakars Wunsch. Er wollte deine Loyalität unter Beweis stellen nach dem, was du getan hast.»
«Ich weiß», sagte Katara und blickte stur geradeaus. «Du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen zu machen, Vater.» Ein paar Minuten saßen sie stumm da, bis Goran erneut das Wort ergriff.
«Katara, ich möchte dich etwas fragen. Heute, als wir durch den dichten Nebel ritten: Wie hast du das gemacht? Woran hast du dich orientiert?»
Das Mädchen schob sich ihr Glasperlenzöpfchen hinter ihr rechtes Ohr und presste die Lippen aufeinander. «Wenn ich dir ein Geheimnis verrate, versprichst du mir, dass du es nicht Drakar weitersagst?»
Goran nickte. «Ich versprech es dir. Was ist es?»
Katara drehte sich ihrem Vater zu und sah ihn ernst an. «Ich glaube … es könnte sein, dass ich …» Sie zögerte. Es fiel ihr schwer, es auszusprechen. Aber schließlich sagte sie es frei heraus: «Vater, es besteht die Möglichkeit, dass ich eine Hexe bin.»
Ihr Vater musterte sie stirnrunzelnd. «Was redest du da? Wie kommst du darauf?»
«Ich habe Fähigkeiten, von denen ich dir nie etwas erzählt habe.»
«Was für Fähigkeiten?»
«Nun, es hat schon vor Jahren begonnen, als ich noch ein kleines Mädchen war. Über die Jahre hinweg ist es immer ausgeprägter geworden. Ich kann mit meinen Augen Dinge sehen, die anderen verborgen sind. Ich sehe gestochen scharf durch den Nebel hindurch – sogar wenn es stockdunkel ist, und das über mehrere Meilen hinweg.»
Goran hörte ihr staunend zu. «Ist das wahr?»
Katara nickte. Sie fühlte sich erleichtert, ihren Vater endlich in ihr Geheimnis einzuweihen. «Und das ist nicht alles», fuhr sie fort. «In den vergangenen Tagen, eigentlich seit jenem Tag, als ich entführt wurde, habe ich ein völlig neues Körpergefühl entwickelt. Ich kann es nur schwer erklären, aber meine Gelenkigkeit ist auf einmal so ausgeprägt wie bei einer Katze. Ich weiß, ich war schon immer sehr beweglich. Aber das hier ist etwas anderes. Gestern, als mir niemand zusah, bin ich auf mein Pferd gesprungen, ohne es auch nur zu berühren. Etwas geschieht mit mir, Vater. Und ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist. Glaubst du … glaubst du, ich bin eine Hexe?»
Ihr Vater wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Was ihm seine Tochter soeben eröffnet hatte, war gefährlich. Goran sah sie eindringlich an.
«Wer weiß alles davon?»
«Niemand. Das heißt, Miro, Ephrion und Aliyah wissen davon. Aber sonst niemand.»
«Gut. Und dabei soll es auch bleiben.»
Katara seufzte. Sie ließ ihren Blick über den Sumpf gleiten. Irgendwo in weiter Ferne entdeckte sie ein paar Schwanzflossen, die aus dem Wasser ragten. «Was denkst du, warum bin ich so?», murmelte sie. «Warum hab ich diese Fähigkeiten? Warum ausgerechnet ich?»
«Ich weiß es nicht», gestand ihr Vater und legte ihr den Arm um die Schulter. «Ich weiß es nicht.»
46
Es mochte gegen drei Uhr in der Früh sein, als Ephrion mit einem Schlag hellwach war. Er hörte Joash neben sich stöhnen und keuchen. Ephrion warf seine Decke zurück und kroch zu ihm hinüber. Eine einzelne Wandkerze brannte und warf ihr flackerndes Licht auf Joashs Gesicht. Sein Zustand hatte sich nicht gebessert. Er schien einen Fiebertraum zu haben und nuschelte wirre Worte vor sich hin. Ephrion beugte sich über ihn und sah ihn gütig an. Er strich ihm die Filzlocken aus dem Gesicht und tupfte ihm die glühende Stirn mit dem nassen Tuch ab. Joash öffnete die Augen, starrte Ephrion für ein paar Sekunden an und atmete heftig.
«Ephrion», murmelte er.
Ephrion lächelte. «Morgen wird es dir viel besser gehen», sagte er zuversichtlich. Und ohne auch nur einmal zu zögern, legte er ihm seine beiden Hände auf die Brust und schloss die Augen.
47
Der Teekessel pfiff und weckte die Gefährten aus ihrem Schlaf. Es kam ihnen vor, als wären sie eben erst eingeschlafen. Die Nacht war vorbei, und graue Nebelschwaden kamen durch das offene Fenster hinein. Die Luft war frisch und kühl. Und es hatte zu regnen begonnen. Andoras Schaukelstuhl knarrte, während die alte Frau gemächlich hin- und herschaukelte, den Blick unbestimmt in die Ferne gerichtet.
«Guten Morgen», sagte sie mit ihrer singenden Stimme,
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