Dark Future: Herz aus Eis
Kopf. Der Schmerz war ein geringer Preis, den sie für ihre Freiheit bezahlte.
Nachdem sie mit dem Handrücken über ihre Lippen gewischt hatte, bückte sie sich und zog den Metallstift aus dem Schloss. Die Hände flach an die eiskalte Wand gedrückt, tastete sie sich langsam und vorsichtig durch den dunklen Raum, bis sie die Tür fand. Es fiel kein Licht in ihre winzige Zelle, also nahm sie an, dass man entweder die Tür abgedichtet hatte oder dass es in dem Bereich vor ihrem Gefängnis ebenso dunkel war.
So kalt. Ihr war so verflucht kalt.
Nein.
Sie gestattete es sich nicht, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf ihre Aufgabe. In diesem Moment existierte die Kälte nicht, existierte ihre Angst nicht. Es gab nur das Bedürfnis, den winzigen Raum zu verlassen, der als ihre Zelle diente. Sie schloss die zitternden Finger um den Türknauf und steckte den Metallstift in das Schloss.
Hallo, liebes Glück.
Das Schloss war keine Herausforderung und gab schon beim ersten Versuch nach. Allerdings wurde sie ja auch in einem Lagerraum im Keller von
Bob’s Truck Stop
festgehalten … es gab also keinen Grund für ein stabiles Schloss an dieser Tür. Sie machte die Tür auf und spähte um die Ecke. Der Korridor war beinahe so dunkel wie der Raum, in den sie eingesperrt gewesen war. Es war nichts zu hören und nichts zu riechen, außer dem schwachen Gestank nach etwas Verrottendem. Keine Spur von einem Wachposten.
Sie schüttelte den Kopf. Es schien so, als hätte Bane sie für leichte Beute gehalten, doch sie ging kein Risiko ein. Sie schloss die Tür hinter sich, falls jemand vorbeikommen sollte, und ging dann mit leisen, gemessenen Schritten den Flur entlang, immer in dem Bewusstsein, dass sie nicht wusste, welche Monster in den Schatten lauerten.
Schummriges graues Licht fiel unter einer Tür hindurch, die sich ungefähr auf der Hälfte des Flurs befand, und Raina blieb stehen und lauschte angestrengt. Kein Geräusch. Sie schlang die Finger um den Türknauf und probierte, ihn zu drehen. Unverschlossen. Sie schob die Tür auf und schlüpfte in den Raum.
Der Gestank traf sie wie eine Faust. Der Müllraum.
Perfekt.
Sie zögerte. Zu einfach. Es fühlte sich alles zu einfach an. Sie blickte sich um und sah auf der Suche nach einer Falle in jede der schimmeligen Ecken des Raumes. Nichts rührte sich. Niemand war hier. Sie stieß erleichtert die Luft aus.
Innerhalb weniger Sekunden erreichte Raina die Öffnung des Müllschluckers. Der Schacht sollte eigentlich beheizt sein, damit der Müll, der eingeworfen wurde, nicht an den Seiten festfror und das Rohr verstopfte. Aber aus irgendeinem Grund war die Wärmequelle nicht eingeschaltet worden.
Klumpen von gefrorenem Müll klebten an den Schachtwänden aus Metall. Vorsichtig prüfte Raina die Haltbarkeit eines Klumpens. Zufrieden, dass er ihr Gewicht hielt, begann sie hinaufzuklettern.
Sie unterdrückte einen Aufschrei, als sich unvermittelt einer der Klumpen aus dem Schacht löste. Geistesgegenwärtig stemmte sie sich mit Händen und Füßen an den Metallwänden ab, drückte mit aller Kraft nach außen und konnte gerade noch verhindern, dass sie wieder zurückfiel. Verzweifelt stützte sie sich an den eiskalten Wänden des winzigen, engen Schachts ab. Ihre Haut klebte an der gefrorenen Oberfläche fest. Zögerlich zog sie daran. Nichts rührte sich. Sie klebte fest wie eine Fliege auf einem Fliegenfänger.
Mit einem kurzen Ruck riss sie eine Hand von der Schachtwand und biss vor Schmerz die Zähne zusammen. Tränen schossen ihr in die Augen, als sie nach dem nächsten Müllklumpen griff, der an der Wand hing. Ihre Hand war glitschig vor Blut.
Sie biss sich so heftig auf die Lippe, dass diese aufplatzte, während sie das Prozedere mit den anderen Gliedmaßen wiederholte, bis sie wieder frei war und Zentimeter für Zentimeter den Schacht hinaufklettern konnte.
Oben angekommen, rollte sie sich aus der Öffnung, kam sofort auf die Füße und verbiss sich einen Aufschrei, als der bitterkalte Wind auf ihre nackte Haut traf und der frostige Boden ihre ohnehin schon wunden Fußsohlen weiter aufriss. Es würde nur Minuten dauern, bis sie erfroren wäre. Wenn überhaupt. Sie taumelte Richtung des Bündels, das sie hinter den gigantischen Müllcontainern versteckt hatte, die nur einmal im Monat geleert wurden.
Keuchend schnappte sie sich ihre Kleidung und zog sie so schnell an, wie es angesichts der Tatsache möglich war, dass ihr ganzer Körper so heftig zitterte,
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