Dark Moon
nicht einschliefen. Obwohl sie mir immer wieder mit schwerer Zunge versicherten, dass sie sich bestens fühlten, bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich fragte mich, ob dieser Solomon ihnen ein Schlafmittel gegeben hatte. Doch wann hätte er das tun sollen? Ich hatte ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen.
Meine Mutter hatte den Kopf auf die Schulter meines Vaters gelegt. Dad nickte immer wieder ein, nur um sofort verwirrt hochzuschrecken. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, meine Eltern in ein Krankenhaus zu bringen. Mom war aber noch so weit bei Sinnen, dass sie mich davon abhalten konnte. Sie brauche nur ein paar Stunden Schlaf, beharrte sie. Wenigstens taten mir beide den Gefallen, wach zu bleiben, bis wir zu Hause ankamen. Nacheinander führte ich sie hoch ins Schlafzimmer.
Ausziehen konnten sie sich selbst, aber ich traute dem Frieden nicht und schob einen großen Sessel neben das Ehebett. Hier wollte ich abwarten, ob alles ruhig blieb oder ich doch noch den Arzt holen musste. Ich nahm mein Notebook mit, um mich ein bisschen über den mysteriösen Nachlassverwalter Emilias schlauzumachen.
Charles Solomon tauchte im Internet unter seinem richtigen Namen auf. Er war kein Hochstapler, sondern Chef einer großen Anwaltskanzlei. Solomon & Partners hatten mehrere Niederlassungen in Nordamerika und waren spezialisiert auf internationales Wirtschaftsrecht. Zu den Kunden der Kanzlei gehörten große Mineralölkonzerne, Energieunternehmen und Finanzinvestoren. Pressefotos zeigten Charles Solomon, wie er Regierungschefs und religiösen Oberhäuptern die Hand schüttelte. Ich fragte mich, was ein so einflussreicher Mann ausgerechnet von Emilia gewollt hatte. Ein Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf: »Wo ist er?« Diese Worte hatte mir Solomon förmlich ins Gesicht geschrien. Hatte er geglaubt, ausgerechnet im Keller des Hauses in der Water Lane einen Mann zu finde n – vielleicht Emilias geheimnisvollen Liebhaber? Langsam kam mir das alles völlig verrückt vor.
Aber es trieb mich noch eine andere Frage um: Warum war Emilias geheimnisvoller Geliebter nicht zu ihrer Beerdigung gekommen? Ich schaltete den Laptop aus und stellte ihn auf den Boden. Meine Eltern schliefen noch immer tief und fest. Ich nahm mir eine Wolldecke und rollte mich wie eine Katze auf dem großen Sessel zusammen. Es war zehn Uhr. Die Sonne war untergegangen. In der Ferne hörte ich das Rauschen des Highways. Alles, was mir in letzter Zeit Angst gemacht hatte, schien auf einmal weit weg. Ich fühlte mich geborgen in meiner Familie. Mark liebte mich. Grandma war bis auf ihr Bein gesund und hatte gute Chancen, sehr alt zu werden. Aber trotzdem war da eine Unruhe in mir, die ich nicht verstan d – so als würde ich insgeheim auf etwas warten und wüsste doch nicht, auf was. Ich schloss die Augen und ließ mich in den Schlaf hinübergleiten.
Kapitel
D as nächste Tier, das auf ähnlich tragische Weise ums Leben kam wie Vincent und Bruno, war ein edles Reitpferd, das frühmorgens am Waldrand des Lighthouse Park gefunden worden war. Als ich den Bericht in den Morgennachrichten sah, lief es mir kalt den Rücken herunter. Die Polizei hatte den Tatort mit gelbem Absperrband gesichert. Unter einer riesigen blauen Plane ragten die Hufe eines Pferdes hervor. Der Besitzer wurde gerade interviewt. Mit geballter Faust schwor er dem feigen Tiermörder blutige Rache, sollte er ihn jemals in die Finger bekommen.
Dann wurde ein Polizeibeamter befragt, der aber zu den schaurigen Funden in unserer Gegend nichts Neues sagen konnte. Ratlos blickte er in die Kamera, während hinter ihm ein Kollege die Abdeckung über dem toten Pferd, die ein Stück hochgeweht worden war, wieder zurechtzog.
Ich schaltete den Fernseher aus und blickte auf die Uhr. Wenn meine Eltern rechtzeitig bei der Arbeit sein wollten, musste ich sie jetzt wecken. Ich war schon lange wach, der Sessel war ziemlich unbequem gewesen. Als ich die Treppe hinaufstieg, taten mir alle Knochen weh. Vorsichtig klopfte ich an den Türrahmen des Schlafzimmers.
Meine Mutter murmelte einen Fluch in die Kissen, während mein Vater noch schnarchte. Ich rüttelte ihn an der Schulter. »Ihr müsst aufstehen, es ist schon halb sieben.«
»Ich fühle mich, als hätte ich die Nacht durchgemacht. Nur dass ich mich überhaupt nicht an die Party erinnern kann«, sagte meine Mutter und richtete sich auf. Weil ihr die Sonne ins Gesicht schien, hielt sie sich die Hand vor die Augen.
Dad erwachte mit einem
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