Dark Village - Das Böse vergisst nie
habe euch etwas mitzuteilen.“
Nora spürte den Drang, aufzustehen und zu rufen: Ich war es. Wir waren es. Wir haben es getan. Wir haben bei Ihnen die Hosen runtergelassen! Wir haben Ihnen unsere Hintern ins Ge sicht gestreckt!
Es war genau wie mit ihrer Höhenangst. Wenn sie irgendwo ganz, ganz hoch oben stand, war sie vollkommen sicher, dass sie im nächsten Moment springen würde. Als würde sie vom Abgrund angezogen, als würde eine magische Kraft von ihm ausgehen, der sie sich nicht entziehen konnte. Und jetzt war es genauso. Sie hatte schreckliche Angst aufzufliegen und gleichzeitig musste sie gestehen – alles! Und jetzt war es genauso. Sie hatte schreckliche Angst aufzufliegen und gleichzeitig musste sie gestehen – alles!
Sie hob die Hand. Irgendwo hinter sich hörte sie jemanden nach Luft schnappen. Vilde , dachte sie.
Synnøve Viksveen übersah sie geflissentlich. Sie trug einen knielangen, geblümten Sommerrock. Weit und luftig. Bei je dem Schritt hüpfte der Saum und gab kurz den Blick auf ihre gebräunten Schenkel frei. Ihr T-Shirt war wie immer eng und tief ausgeschnitten.
Die hat auf jeden Fall Titten , schoss es Nora durch den Kopf.
Langsam wurde ihr Arm müde.
Viksveen ließ ihre schwere schwarze Tasche auf den Tisch fallen. Sie sah Nora an und ihre Augen blitzten genervt. „Jetzt nicht“, sagte sie. „Ich habe etwas mitzuteilen.“
„Ah.“ Nora nahm langsam die Hand runter. Eine merkwür dige Erleichterung erfasste sie. Ihr Gesicht entspannte sich.
Gerettet. Vor sich selbst gerettet.
Sie betrachtete ihre Hände, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Sie zitterten. Was in aller Welt tat sie hier eigentlich? War sie jetzt völlig verrückt geworden?
Synnøve Viksveen setzte sich aufs Pult. Sie klemmte den Rock eng um die Beine und strich ihn langsam mit den Händen glatt, sodass jede Rundung ihrer Schenkel deutlich zu sehen war. Sie sagte: „Es gibt etwas zu besprechen.“
Nora sank auf dem Stuhl zusammen.
Jetzt kommt es. Jetzt ist es vorbei .
5
Wie auf dem Präsentierteller, so fühlte er sich.
Er bereute es, sich nicht mehr Zeit gelassen zu haben und später gekommen zu sein.
Aber er hatte es versprochen. Hatte versprochen, rechtzeitig da zu sein und sich zu benehmen. Hatte versprochen, es dieses Mal nicht zu vermasseln.
Ein Stück entfernt blieben vier Mädchen stehen. Sie sahen ihn an. Wie alle anderen auch.
Lange, neugierige Blicke. Was haben wir denn da? Wie im Zoo.
Aber eine von ihnen war anders.
Ihre Augen waren freundlich. Es war in Ordnung, dass sie ihn anguckte. Schnell wollte er den Blick erwidern, aber daraus wurde nichts. Hier waren zu viele Leute. Es war nicht möglich.
Da klingelte es.
Yes!
Endlich hatte die Glotzerei ein Ende.
Nick ging zur Treppe und ließ sich mit dem Strom treiben. Niemand traute sich, ihm nahezukommen. Keiner rempelte ihn an, keiner ließ im Vorbeigehen einen Kommentar fallen wie: „Alter, wer bist du denn?“
Er fühlte sich vollkommen verlassen.
Das war an und für sich ja nichts Neues. Er war es gewohnt, allein zu sein, aber dieses Mal hatte er tief drinnen etwas ge spürt. Den Gedanken, die Hoffnung, dass es vielleicht anders würde.
Aber jetzt wusste er es. Zwischen all diesen Leuten, die mit einander redeten, lachten und sich bestimmt schon ihr halbes Leben kannten, war er ein Niemand. Und es war klar, dass alles beim Alten bleiben würde. Er musste lächeln.
Es war ein bisschen wie in einer Quizshow. Hier seht ihr ein paar Bilder. Wer passt nicht dazu? Wer muss weg? Drei Mal dürft ihr raten , dachte Nick.
Er lachte laut auf. Es war ein kurzes, hartes Lachen, es rutschte ihm einfach raus. Das hatte er nicht gewollt. Um ihn herum wurde es schlagartig still.
Der halbe Meter zwischen den anderen und ihm wurde grö ßer. Er zuckte innerlich die Schultern. Vergiss sie. Du musst nur den Tag überstehen, das kann nicht so schwierig sein.
6
Sie hatte ihm den Weg zum Lehrerzimmer erklärt. Daher fand er den Raum problemlos. Er klopfte an.
Sie öffnete selbst, offenbar hatte sie ihn schon erwartet. Hin ter ihr waren Stimmen zu hören.
„Warte kurz“, sagte sie, drehte sich um und ging zurück ins Zimmer. Als sie wieder herauskam, trug sie eine große schwarze Tasche bei sich.
„Da drinnen können wir nicht sprechen“, sagte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Na, bist du bereit?“
„Tja“, erwiderte er. „Glaube schon.“
„Da lang.“ Sie zeigte den verlassenen Gang hinunter. „Du weißt ja, was auf
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