Darkover 02 - Herrin der Stuerme
aber seine Nerven waren durch die Anspannung und die lange Zeit ohne Schlaf gespannt. Wie immer, wenn er es sich erlaubte, ließ sein Laran ein Gewebe einander widersprechender Zukunftsentwicklungen um ihn herum entstehen.
Schweigend gingen sie nebeneinander am Ufer entlang. Liriel, der violette Mond, der gerade sein volles Stadium überschritten hatte, ging verschwommen über dem See unter. Der grüne Idriel, die blasseste der Sicheln, hing hoch und bleich über dem weit entfernten Gebirgskamm.
Allart wußte – es war ihm klar geworden, als er Renata zum ersten Mal gesehen hatte –, daß sie die zweite der beiden Frauen war, auf die er wieder und wieder in den verzweigten Zukunftsentwicklungen seines Lebens gestoßen war. Vom ersten Tag im Turm an war er ihr gegenüber wachsam gewesen, hatte kaum mehr als die unerläßlichsten Höflichkeiten mit ihr ausgetauscht und sie gemieden, so weit man jemanden in den begrenzten Quartieren des Turms meiden konnte. Er hatte ihre Fähigkeit als Überwacherin respektieren und ihr schnelles Lachen und ihre gute Laune schätzen gelernt. Die Freundlichkeit, mit der sie sich um Cassandra kümmerte, berührte ihn. Aber bis zu diesem Augenblick hatte er mit ihr kein einziges Wort außerhalb der Grenzen ihrer Pflichten gewechselt.
Seine Übermüdung hinderte ihn daran, Renata so zu sehen, wie sie wirklich war – freundlich, unpersönlich, zurückgezogen, eine im Turm ausgebildete Überwacherin, die über Berufsangelegenheiten sprach –, sondern wie sie in irgendeiner der sich fächerförmig ausbreitenden Möglichkeiten der Zukunft sein würde, die möglicherweise in Erfüllung gehen konnten. Obwohl er sich selbst dagegen abgeschirmt und sich nie gestattet hatte, solche Gedanken freizusetzen, hatte er sie von Liebe erwärmt gesehen, die Zärtlichkeit, zu der sie fähig war, erfahren, sie wie in einem Traum besessen. Es überschattete den wirklichen Stand ihrer Beziehungen und verwirrte ihn, als stünde er einer Frau gegenüber, die ihn in erotische Träume versetzte, die er vor ihr verbergen mußte. Nein. Keine Frau außer Cassandra spielte in seinem Leben irgendeine Rolle, und sogar bei ihr stand fest, wie beschränkt diese Rolle war. Er wappnete sich gegen jeden Angriff auf diese Schranken und sah Renata mit dem kalten, unpersönlichen, fast feindseligen Blick des Nevarsin-Mönchs an.
Sie gingen nebeneinander her und hörten den flüsternden Klang der weichen Wolkenwellen. Allart war an den Ufern von Hali aufgewachsen und hat diesen Klang sein Leben lang gehört, aber jetzt erschien er ihm durch Renatas Ohren völlig neu.
»Ich werde dieses Klangs nie müde. Er ist dem Wasser gleichsam ähnlich und unähnlich. Ich nehme an, daß niemand in diesem See schwimmen kann?«
»Du würdest sinken. Langsam zwar, das stimmt, aber du würdest sinken. Er wird dich nicht tragen. Aber man kann ihn atmen, also macht es nichts, wenn man sinkt. Als Junge bin ich unzählige Male über den Grund des Sees gegangen, um die merkwürdigen Dinge in ihm zu beobachten.«
»Man kann ihn atmen? Und man ertrinkt nicht?«
»Nein, nein, er besteht überhaupt nicht aus Wasser – ich weiß nicht, was es ist. Wenn man ihn zulange einatmet, fühlt man sich schwach und müde und verliert die Lust, überhaupt noch Luft zu holen. Es besteht dann die Gefahr, daß man ohnmächtig wird und stirbt, weil man das Atmen vergißt. Aber eine kurze Zeitlang ist es anregend. Und es gibt merkwürdige Lebewesen dort. Ich weiß nicht, ob ich sie Fische oder Vögel nennen soll und könnte auch nicht sagen, ob sie in der Wolke schwimmen oder durch sie fliegen, aber sie sind sehr schön. Man sagt gewöhnlich, daß es ein langes Leben gibt, die Wolke des Sees zu atmen, und daß die Hasturs deshalb so langlebig sind. Man sagt auch, daß Hastur, der Sohn des Herrn des Lichts, denen, die dort wohnten, als er an die Ufer von Hali fiel, Unsterblichkeit gab, und wir Hasturs diese Gabe wegen unseres sündigen Lebens verloren. Aber das sind alles Märchen.«
»Glaubst du das, weil du ein Cristofero bist?«
»Das glaube ich, weil ich ein Mensch der Vernunft bin«, erwiderte Allart lächelnd. »Ich kann mir keinen Gott vorstellen, der sich in die Gesetze der Welt, die er erschaffen hat, einmischt.«
»Aber die Hasturs sind doch wirklich langlebig.«
»In Nevarsin hat man mir gesagt, daß alle vom Blut Hasturs Chieri-Blut in sich haben. Und die Chieri sind nahezu unsterblich.«
Renata seufzte. »Ich habe aber auch gehört, daß sie Emmasca sind,
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