Darkover 06 - Die Flamme von Hali
Muster der Knoten und Kanäle im Energiekörper des Jungen wie eine Konstellation grellbunter Kugeln, die von weiß-goldenen Schnüren zusammengehalten wurden. Sie suchte weiter, hielt nach Ballungen Ausschau, roten und schlammig braunen Verfärbungen, Unterbrechungen im Fluss. Ja, auf dem Weg zum Unterleib entdeckte sie Warnzeichen. Noch während sie hinsah, wurden die Farben dunkler und pulsierten.
Die Hand des Jungen zitterte zwischen ihren Händen. Als sie ihn losließ, errötete er wieder. Sie nahm peinliche Berührtheit wahr, sexuelle Bewusstheit. Er war hier allein mit seiner hübschen Tante und hielt mit ihr Händchen .
»Lerrys, wie alt bist du?«
»Vierzehn.«
»Hmmm.« Seiner Größe nach hätte sie auf zwölf getippt, aber auch Varzil war etwas schlanker gewesen. »Ich kann mir nie merken, wer wann geboren ist.«
»Schon gut.«
»Hast du manchmal grundlos Bauchweh? Oder bist ganz außer dir, aufgebracht? Oder spielen dir deine Augen Streiche?«
»Wofür hältst du mich, für verrückt?« Er entzog sich ihr, und an der Heftigkeit seiner Abwehr erkannte sie, wie sehr ihn alle diese Symptome beunruhigten.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin eine Leronis , in Hali ausgebildet. Ich stelle diese Fragen nicht leichtfertig oder um dich zu kränken.« Wie viel wusste der Junge? War er sich des Risikos bewusst? »Hast du einen Sternenstein? Darf ich ihn sehen?«
Wenn Lerrys ihn auf dem Boden einer Spielzeugtruhe aufbewahrte oder sonstwo von ihm getrennt, war sein Laran vielleicht noch nicht erweckt. Er nestelte an seiner Hüfte, unter seinem Hemd, wo er einen zur Schärpe gefalteten Stoffstreifen trug. Er zog einen kleinen bläulichen Kristall heraus und hielt ihn hoch. Das Innere war noch trüb, unberührt vom inneren Feuer.
»Hier.« Ohne Vorwarnung warf er ihn ihr zu.
Instinktiv fing Dyannis den Kristall auf und begriff dann entsetzt, was sie getan hatte. Sie drückte ihm den Stein wieder in die Hände und schloss seine Finger darum.
» Mach das nie wieder! « Obwohl sie nicht so geübt im Einsatz eines Befehlstons war wie Varzil, hatte sie doch genug Kraft, um ihre Worte telepathisch zu verstärken. Der Junge zuckte sichtlich zusammen.
»Du hältst das vielleicht nur für ein hübsches Spielzeug, für Tand«, zürnte sie weiter, »aber wenn es erst auf deine Gedanken eingestellt ist, ist es dein Leben. Verstehst du mich? Du darfst keinem anderen jemals erlauben, ihn zu berühren, es sei denn, er ist ein Bewahrer.«
Es sei denn, er ist ein Bewahrer .
Unter ihr tat sich ein Abgrund auf.
»Du verstehst nicht«, sagte Lerrys sichtlich unglücklich. »Ich darf kein Laran haben. Nur genug, damit Vater mich dem Rat präsentieren kann. Aber mehr davon bringt nur Ärger.«
Dyannis rief sich in die Gegenwart zurück. »Wir sind so, wie die Götter uns geschaffen haben, Chiyu , und nicht wie unsere Väter uns haben wollen. Wenn dir das Talent gegeben ist, wird nichts, was jemand sagt, etwas daran ändern können. Es erstaunt mich nicht, wenn man bedenkt, wie viele deiner Verwandten starkes Laran besitzen.«
Er sah elend aus. »Tante Dyannis, ich weiß, du meinst es gut, aber ehrlich, es wäre das Beste, Vater nichts davon zu sagen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie er ist, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.«
»Dein Großvater Dom Felix war genauso. Harald ist ihm sehr ähnlich.« Anfangs hatte ihr Vater Varzil einfach nicht erlaubt, sich in Arilinn ausbilden zu lassen. Dyannis hoffte, dass Lerrys nicht die gleichen Schwierigkeiten bekam. Falls nötig, würde sie sich an Varzil wenden. Immerhin verdankte Harald ihm sein Leben.
Harald kehrte an diesem Abend erst zurück, als der Rest der Familie schon lange getafelt hatte. Da Rohanne sich nicht die geringsten Sorgen machte, vermutete Dyannis, dass das eigentlich die Regel war. Das Essen zu Ehren ihrer Rückkehr war ein besonderer Anlass gewesen.
Sie zog sich lieber auf ihr Zimmer zurück, statt mit Rohanne allein zu bleiben. Sie versuchte zwar zu meditieren, aber ihre Gedanken wollten keine Ruhe finden. Als sie sich erhob und im Zimmer umherging, verstärkte sich das Gefühl nur, ersticken zu müssen. Die Enge des Zimmers, die ständige Erinnerung an eine Zeit, als sie noch klein war und den Befehlen älterer Männer gehorchen musste, bedrückte sie.
Ihr Götter, wie hatte sie das nur jemals ertragen können? Wie hatte Varzil, dessen mächtige Gabe schon so
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