Darkover 10 - Die zerbrochene Kette
Wald. Sie hatte Glück, daß das Wetter gut blieb. Auch der Schneefall vor dem Morgengrauen war ungewöhnlich leicht. Aber Magda, die erschauernd aus dem Zelt kroch, wußte genau, daß das ein schlechtes Zeichen war. Im Norden zogen dicke, schwarze Wolken zusammen, und ein starker Wind hatte bereits begonnen, die Wipfel der immergrünen Bäume zu zausen. Ein schwerer Sturm war im Anzug.
Während sie auf dem einsamen Weg weiterritt, ging sie in Gedanken immer wieder ihr Versagen durch. Wie sie es auch rationalisierte, es war ein Versagen; sie war in Panik geraten.
Immer, wenn ich auf die darkovanische Seite ging, habe ich mich gezwungen, diese Art von Benehmen zu zeigen . Es war die Standard-Konditionierung im Nachrichtendienst: Bau dir eine persona auf, eine passende Rolle für den Planeten, auf dem du arbeitest, und weiche niemals auch nur für einen Augenblick von dieser Rolle ab, bis du wieder sicher in der Terranischen Zone bist.
Aber die Persönlichkeit, die ich für mich in Thendara aufgebaut habe, funktioniert hier nicht. Wegen der speziellen Gesellschaftsform auf Darkover und der Art, wie die Frauen hier leben. Für die Männer ist es anders. Aber ich bin die einzige Frau, und es ist mir nie bewußt geworden, wie weit ich mich von dem Verhalten eines ausgebildeten Agenten entfernt hatte…
Magda versuchte, es durchzudenken, zu analysieren, welche grundlegenden Veränderungen sie an ihrer darkovanischen persona für diese Aufgabe vornehmen mußte. Die Angst schüttelte sie jedoch so, daß sie es aufgeben mußte. Das Problem ist, daß ich darauf trainiert bin, außerhalb der Zone niemals an Terra zu denken . Jetzt wollte sie einen Prozeß, der so automatisch ablief wie das Atmen, unter willkürliche Kontrolle bringen, und das klappte nicht.
Ich kann keine Freie Amazone sein. Ich weiß nicht genug über sie. Sogar Lady Rohana sagte, sie wisse nicht genug über sie. Deshalb kann ich nur meine alte darkovanische persona sein, die so tut, als sei sie eine Freie Amazone. Lady Rohana war der Ansicht, ich könne Leute täuschen, die nie viel mit Freien Amazonen zu tun gehabt haben. Ich hoffe nur, daß ich keinen echten begegne!
Das löste eine andere dieser unheimlichen vagen Visionen aus, die sie »Ahnungen« nannte und auf die sie sich seit Jahren verließ. Diese jedoch ließ ihr seltsamerweise das Blut in den Adern erstarren; es lief ihr so kalt das Rückgrat hinunter, daß sie den Mantel fester um die Schulter zog. Ich könnte von Glück sagen, wenn ich ein paar träfe!
Peter sagte immer, ich hätte ein Talent zum Bluffen. Aber ich gewöhne mich besser daran, unter seinem darkovanischen Namen an ihn zu denken .
Nacktes Entsetzen packte sie, als ihr der Name einfach nicht einfallen wollte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, und die Angst verging, sobald der Name in ihrem Gedächtnis aufstieg. Piedro. Das heißt, in den Hellers. Im Tiefland würde man ihn Pier nennen… Warum war diese Stelle in meinem Gehirn plötzlich leer?
Eine Stunde nach Mittag kam sie an einer der Reiseunterkünfte vorbei. Sie war leer, und Magda zögerte. Die Versuchung war groß, über Nacht hierzubleiben. Aber sie hatte bereits einen halben Tag verloren, und im Hintergrund ihrer Gedanken war immer das auf Mittwinter befristete Ultimatum. Bis dahin mußte sie nicht nur in Sain Scarp eintreffen, es mußte auch noch genug Zeit für die Rückkehr nach Thendara sein, bevor die Winterstürme die Pässe schlossen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir den ganzen Winter auf Rumal di Scarps Türschwelle kampieren .
Auch hatte sie keine besondere Lust, den Winter über allein mit Peter irgendwo festzusitzen. Früher einmal habe ich mir in Tagträumen ausgesponnen, irgendein Ereignis isoliere uns, so daß wir Zeit hätten, miteinander allein zu sein… Noch jetzt wäre es… angenehm… Entgeistert befahl Magda sich, mit diesen Gedanken aufzuhören. Halb ärgerlich fragte sie sich, ob Bethany doch recht habe: Liebte sie Peter immer noch? Ich hätte mir nach unserer Trennung auf der Stelle einen anderen Liebhaber nehmen sollen. Chancen hatte ich, weiß Gott, genug. Warum habe ich es eigentlich nicht getan?
Sie studierte die Anzeigetafel und entdeckte, daß es einen halben Tagesritt entfernt eine weitere Unterkunft gab. Als sie der Hütte den Rücken kehrte, überkam sie wieder das merkwürdige, fast körperliche Prickeln der »Ahnung«, aber sie entschloß sich grimmig, nicht abergläubisch zu
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