Darkyn: Blindes Verlangen (German Edition)
sie sich vorgestellt hatten, aber sie ist meine Lieblingsstatue. Ist sie nicht hübsch?«
»Ich habe noch nie so etwas gesehen.« Nick musste ihn hier rausbringen. »Hör zu, ich glaube nicht, dass dieser Dalente hier ist. Vielleicht sollten wir heute in der Stadt übernachten und uns morgen um alles kümmern.«
»Paolo muss in die Stadt gezogen sein, damit er nicht so allein ist. Ich kann ihm das nicht vorwerfen; ich war zu lange fort. Aber komm.« Er zog an ihrem Arm. »Ich zeige dir mein Haus.«
Im Salon duckte sich Nick unter einem dicken Schleier aus Spinnweben hindurch, der von einem kaputten Kronleuchter herabhing, und fiel beinahe über einen Haufen zusammengeknüllter Tüten und leerer Getränkedosen.
»Die Schlafzimmer sind oben, aber fast meine gesamte Kunstsammlung ist in dem Zimmer rechts von der Treppe ausgestellt.« Er deutete in die Richtung. »Ich habe zwei Picassos und Renoirs über dem Kamin, aber wegen all der Statuen nennt mein Tresora es immer das ›Marmorzimmer‹.«
Sie blieb auf der Schwelle stehen und blickte auf die zerknüllte Alufolie und auf die leeren, zerbrochenen Spritzen, die neben ihrem rechten Fuß glitzerten. Der Raum war genauso leer wie das Foyer.
Sie ließ ihre Taschenlampe über die Wände gleiten und sah ein paar Haufen Lumpen und eine umgedrehte Kiste, auf der Kerzenstummel standen. An den Wänden befanden sich helle, rechteckige Flecke, wo die Bilder einmal gehangen haben mussten. Ein Fleck, der nach allen Seiten weggespritzt war, und der Geruch, der im Zimmer hing, ließen darauf schließen, dass sich jemand erst kürzlich in diesem Raum heftig übergeben hatte. Eine andere Person hatte mehrmals in einer Zimmerecke einem dringenden Bedürfnis nachgegeben.
Gott sei Dank ist er blind . »Gabriel, ich bin ein bisschen müde von der Fahrt, und du brauchst Blut«, sagte Nick und versuchte ihn umzudrehen. »Lass uns nach Toulouse fahren. Wir können nach Sonnenuntergang wiederkommen.« Das würde ihr einen Tag Zeit geben, sich zu überlegen, was sie jetzt tun sollten. Hier konnte er nicht bleiben. »Komm.«
Er beachtete sie gar nicht. »Das ist komisch, aber ich kann mich gar nicht erinnern, dass das Haus so roch. Dalente hat vielleicht vergessen zu lüften. Er muss auch dringend den Müll rausbringen.« Nick spannte sich an, und sein Griff um ihren Arm wurde fester. »Stimmt etwas nicht?«
Hier stimmte gar nichts.
»Nein, nein.« Wie konnte sie ihm sagen, dass sein Haus leer geräumt und in eine Absteige für Junkies verwandelt worden war? »Du hast gesagt, dass du hier Geld und Papiere aufhebst. Die sollten wir zuerst holen.« Dann mussten sie nämlich nicht noch einmal zurückkommen. »Wo sind sie?«
»In der Bibliothek.« Er deutete auf die gegenüberliegende Seite der Halle. »Die dritte Tür auf der linken Seite.«
Nick hatte alle Mühe, ihn um die Abfallberge der Hausbesetzer herumzuführen, aber es gelang ihr, ihn ohne Stolpern oder ein anderes Missgeschick in die Bibliothek zu führen. An dem Gestank des Mülls konnte sie nichts ändern, aber die kalte Luft, die durch die zerbrochenen Fenster hereindrang, brachte den Duft von Wildkräutern und Blumen mit sich, der ihn zu überdecken half.
»Hier.« Er drückte auf den Lichtschalter, doch im Zimmer blieb es dunkel. »Ich weiß, es muss auf dich wie eine Universitätsbibliothek wirken, aber ich lese gerne.«
Die Regale waren leer, die Bücher und die Möbel verschwunden. Brandlöcher von Zigaretten bedeckten die hübschen alten Perserteppiche, die auf dem Eichenparkett lagen. Es waren nur noch einige alte Gobelins übrig, die in fehlende Fensterscheiben gestopft worden waren, um den kalten Wind draußen zu halten.
»Bleib da stehen und sag mir, wo es ist«, meinte sie, und ihr brach seinetwegen das Herz, »dann hole ich es.«
»Ich muss meinen Tresora anrufen.« Gabriel ließ sie los und ging, bevor sie ihn aufhalten konnte, mit ausgestreckten Armen durch das Zimmer. »Dalente stellt gerne Dinge um.« Er blieb stehen. »Wo hat er den Tisch hingestellt?«
Nick fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Gabriel, hier ist kein Tisch. Es gibt überhaupt keine Möbel.«
»Natürlich gibt es Möbel. Dalente würde die Möbel nicht einlagern; er …« Gabriel stieß gegen ein Bücherregal und suchte einen Moment lang sein Gleichgewicht, bevor er mit der Hand über das leere Regal fuhr. »Meine Bücher …« Er tastete sich zu einem weiteren Regal und fuhr über die Bretter, dann tat er das Gleiche mit
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