Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
Er seufzte. »Gott weiß warum.«
Sie gingen zurück ins Büro, um zu sehen, ob es etwas Neues gab, und Sam sah Adam Suarez und zwei andere Männer in Captain Garcias Büro sitzen. Als Garcia bemerkte, dass Sam und Harry ins Büro gekommen waren, schloss er sofort den Sichtschutz.
»Da will jemand nicht, dass wir was von der Besprechung mitkriegen«, murmelte Harry.
Sam war schlecht. Sie war fast sicher, dass einer der anderen Männer, die beim Captain saßen, Wes Dwyer sein musste. »Ich muss noch mal aufs Klo, bevor wir gehen«, sagte sie zu ihrem Partner. »Bin sofort zurück.«
Das Morddezernat teilte sich die Toilette mit der Abteilung für Gewaltverbrechen. Nachts war sie in der Regel leer, aber während des Tages wurde sie von beiden Geschlechtern benutzt, deshalb klopfte man immer zuerst an, bevor man sie betrat. Sam klopfte an die Tür, lauschte einen Moment, dann ging sie hinein. Sie glaubte nicht, dass sie sich übergeben musste, aber so, wie es in ihrem Magen rumorte, wollte sie lieber kurz abwarten.
Es half ihr, sich am Waschbecken kaltes Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen. Natürlich war es die unvermeidliche erneute Begegnung mit Wes Dwyer, die ihr Übelkeit verursachte. In ihrer ganzen Laufbahn war ihr niemals jemand wie er begegnet. Selbst die schlimmsten, kaltblütigsten Mörder, die sie verhaftet hatte, hatten irgendein Motiv für das, was sie taten.
Dwyer hatte keins.
Das machte ihre Seite der Geschichte so unglaubwürdig – dass ein Polizist, der ansonsten tadellos seinen Dienst erfüllte, ohne offensichtlichen Grund so auf sie fixiert war. Sam hatte sich oft gefragt, ob sie unabsichtlich irgendetwas getan hatte, was Dwyer glauben ließ, sie fände ihn attraktiv, bis sie sich irgendwann mal mit der Beraterin für Vergewaltigungen aus der Abteilung für Gewaltverbrechen unterhalten hatte.
»So, wie du Dwyers Verhalten beschreibst«, hatte die Beraterin gesagt, »würde ich sagen, dass er ein Stalker ist.«
Sam konnte das nicht glauben. »Aber sind das nicht eigentlich Typen, die es nicht akzeptieren können, wenn ihre Freundin mit ihnen Schluss macht? Dwyer und ich waren nur Partner.«
»So was kommt seltener vor als die liebeskranken Stalker, aber es passiert. Es ist ungewöhnlich, dass Wes die Psychotests bei der Aufnahme in die Polizeiakademie bestanden hat – die meisten Stalker sind arbeitslos oder Hilfsarbeiter, aber sie sind sehr oft cleverer als der durchschnittliche Verbrecher. Dwyer war noch nie verheiratet, stimmt’s?« Als Sam nickte, fügte die Beraterin hinzu: »Diese Typen sind meist zu erfolgreichen intimen Beziehungen nicht in der Lage. Das ist ein Grund, warum sie ihr Opfer immer sexualisieren und schließlich davon überzeugt sind, dass das Objekt ihrer Begierde verdient hat, was sie ihm antun.«
Die Beraterin erklärte die verschiedenen Stufen der Wahnvorstellungen, in die Dwyer sich hineingesteigert hatte, bis er besessen von Sam war.
»Stalker suchen sich meistens Opfer, die sie aus der Ferne idealisieren. Sie behalten ihre Gefühle zunächst für sich und stehlen persönliche Dinge oder andere intime Trophäen. Manchmal bauen sie bei sich zu Hause eine Art Schrein für ihr Opfer, aber irgendwann reichen ihnen die Trophäen nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt haben sie sich bereits so in ihre Wahnvorstellungen hineingesteigert, dass sie glauben, ihr Opfer würde auf freundliche oder sogar romantische Annäherungsversuche reagieren. Ablehnung verwirrt oder ärgert sie nur, weil sie glauben, bereits eine Beziehung mit ihrem Opfer zu führen.«
»Aber ich habe ihm nie etwas anderes signalisiert, als dass wir Partner sind«, meinte Sam. »Was hat ihn denn glauben lassen, ich würde mit ihm zusammen sein wollen?«
»Es war vermutlich etwas ganz Normales, ein Blick, eine Bemerkung, und er hat angebissen. Es spielt keine Rolle, dass du jeden anderen genauso behandelt hättest. Dwyer interpretierte etwas hinein, und das löste die Besessenheit aus. Jede normale Geste und jedes Gespräch, das du mit ihm führst, hat für den Stalker danach noch mehr Bedeutung.« Die Beraterin verzog den Mund. »Ein Stalker nannte es mir gegenüber mal den Moment, an dem er und sein Opfer sich ineinander verliebt hätten.«
»Dwyer wollte keine Liebe«, versicherte Sam ihr. »Er wollte immer nur Sex.«
»Stalker setzen Liebe oft mit Sex gleich«, erklärte die Beraterin. »Frustration über ihre Unfähigkeit, eine normale intime Beziehung zu führen, oder sexueller Missbrauch
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