Darkyn: Dunkle Erinnerung (German Edition)
Bruderschaft war nicht willens, ihn aus ihren Klauen zu lassen, und niemand verließ jemals den Orden.
Tod und Zerstörung, das war alles, was für sie zählte.
Mercer konnte nicht mutwillig Leben nehmen; das ging gegen alles, an das er glaubte. Und das hatte ihn auch dazu gebracht, sich außerhalb des Ordens umzusehen und sich an die Priester anderer Glaubensrichtungen zu wenden. Seine lange Suche hatte ihn schließlich auf einen Kult stoßen lassen, der über echte mystische Kräfte verfügte.
Auf den Santeros von Lukumi.
Mercer hatte es beim ersten Mal nicht geglaubt, als er Zeuge gewesen war, wie der alte Mann seine Zauberkräfte entfaltete, und auch beim zweiten Mal nicht. Beim dritten Mal hatte er versucht, es als Hysterie abzutun. Dann war ein jüngerer Bruder in einen kleineren Skandal verwickelt gewesen, bei dem es um ein junges kubanisches Mädchen ging, und Mercer war zum Santero gegangen und hatte ihn um Hilfe gebeten. Der alte Mann hatte mehr getan. Er hatte dafür gesorgt, dass sich das Problem in Luft auflöste.
Selbst Mercer konnte so etwas nicht.
Er hob den Hörer ab und wählte eine Nummer in Little Havanna, wo sich die Kirche des Santero befand. Der alte Mann sprach nur Spanisch, aber Mercer kannte die Sprache gut genug, um sich verständlich zu machen. Sie verabredeten ein Treffen und würden über den Preis noch verhandeln. Dann rief er ein hiesiges Taxiunternehmen an und bestellte einen Wagen, der ihn in dreißig Minuten am Tor abholen sollte. Als er nach dem Fahrtziel gefragt wurde, erklärte er der Frau am Telefon, dass er dem Fahrer die Adresse geben würde, wenn er kam.
»Wie meinen Sie das, Sie woll’n nach Little Havanna?«, fragte der Taxifahrer, als Mercer eine halbe Stunde später in seinen Wagen stieg und ihm die Adresse nannte. »Wissen Sie, wie weit das weg ist?«
Mercer gab ihm drei Zwanziger. »Wenn es weiter ist als das hier, dann habe ich noch mehr.«
»Wie du willst, Kumpel.«
Die Fahrt nach Little Havanna dauerte mehr als eine Stunde, aber das gab Mercer Zeit, über seine Möglichkeiten nachzudenken und ein bisschen nüchterner zu werden. Der Taxifahrer hielt vor der kleinen Kirche in der Straße, die Mercer ihm genannt hatte.
»Sind Sie sicher, dass Sie in dieser Gegend aussteigen wollen, Vater?« Der Taxifahrer blickte auf eine Gruppe kubanischer Jugendlicher, die am Wagen vorbeilief. Alle trugen Messer und Pistolen in den Taschen ihrer schlabberigen Jeans und sahen das Taxi mit gleichgültigem Interesse an. »Sie werden bestimmt ausgeraubt oder so was.«
»Mir passiert nichts«, versicherte ihm Mercer, während er ihm noch einen Zwanziger gab. »Würden Sie mich bitte in einer Stunde wieder abholen?«
»Ja, wenn Sie dann noch leben.« Der Fahrer schüttelte den Kopf, als er wegfuhr.
Mercer ging über den schmalen Bürgersteig bis zu der kleinen Kirche. Auf dem handgemalten Schild über der Tür stand in kleinen, krakeligen Buchstaben: CAPILLA DEL SAGRADO CORAZÓN DE OGÚN . Dellen und Flugrost verunstalteten die billige Blechverkleidung, und das schlichte Holzkreuz, das auf dem Dachfirst festgenagelt war, warf mit seinem schiefen Querbalken einen unheimlichen Schatten.
Mercer hatte mit der Zeit seine Ängste abgelegt, aber nichts auf der Welt fürchtete er mehr, als durch diese Tür zu treten. Beim letzten Mal hatte Mercer sich geschworen, es nie mehr zu tun. Und doch stand er wieder hier. Um bei den Hilflosen um Hilfe zu bitten.
Im Inneren schlug ihm der Gestank von Zigarrenqualm und Rum entgegen. Um Babalu Aye zu ehren, die afrokubanische Version des heiligen Lazarus, rauchten die Gläubigen hier Zigarren und tranken aus offenen Flaschen. Es gab keine Bibeln, keine Gebetsbücher, keinen Kanon und keine festen Rituale in dieser Kirche. Die Tradition der mündlichen Überlieferung, die es hier gab, kombiniert mit dem Bedürfnis nach Geheimhaltung, ließ sie nichts über ihre Religion schriftlich festhalten. Alles wurde nur mündlich von einem zum anderen weitergegeben.
» Hola, Padre Lane«, begrüßte ihn eine junge, listige Stimme. » Mi abuelo dich erwarten.«
Mercer sagte sich, dass es die Hitze war, die ihn schwitzen ließ, während er weiter in die Kirche hineinging. Überall flackerten Votivkerzen und Teelichter; egal, zu welcher Tages- oder Nachtzeit man herkam, sie brannten immer. Der junge grinsende kubanische Junge, der am Altar saß und auf ihn wartete, hielt eine lange dicke Havanna in seiner rechten Hand. Er schob sie sich in den Mundwinkel,
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