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Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

Titel: Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Tante Mame an Veras Chinchillacape festhing. Vera trat vor, um ihren abschließenden Text zu sagen, und Tante Mame, auf geheimnisvolle Weise mit Veras Kreuz verbunden, folgte ihr. Dann begriff ich: Einer ihrer siamesischen Glöckchen-Armreifen hatte sich in dem Pelz festgehakt.
    Vera tat noch einen Schritt vor, Tante Mame, unter bimmelnder musikalischer Begleitung, kam ihr nach.
    Endlich blieb Vera regungslos stehen. » Loslassen! « , knurrte sie.
    » Ich kann nicht, Vera « , presste Tante Mame hervor.
    Das Publikum bebte vor Ausgelassenheit, Gejohle und Getrappel. Vera brüllte ihre allerletzte Zeile, während Tante Mame noch immer versuchte, sich loszureißen. Schließlich fiel der Vorhang und umhüllte sie beide– sich gegenseitig tretend und kratzend– in seine Bahnen aus staubigem Velours.
    Diesen Abend werde ich mein Lebtag nicht vergessen. In ihrem rauen Dialekt als geborene Pittsburgherin bedachte Vera meine Tante Mame mit den übelsten Schimpfwörtern, die ich je gehört hatte, und vielen, die ich noch nie gehört hatte. Tante Mame war niedergeschmettert. Sie legte den Kopf auf die überhäufte Frisierkommode und bebte vor Schluchzen. » Ve– e– era « , jammerte sie, » das sind die einzigen Armreifen, die mir geblieben sind. « Vera keifte sie an wie ein Fischweib. » Du dreckige, billige Gesellschaftsschlampe. Willst du mir meine Premiere kaputtmachen? Ich hasse dich. Dich und deine Bande von Nichtsnutzen. « Vera hörte nicht auf, sie anzuschreien, bis der Theaterleiter sie mit Gewalt aus dem Zimmer schob und er Tante Mame das Kündigungsschreiben auf die Frisierkommode knallte.
    Tante Mame weinte noch lange, nachdem im Theater bereits alles dunkel war. Wieder und wieder sagte sie: » Aber es sind die einzigen Armreifen, die mir geblieben sind. Die einzigen Armreifen, die ich habe. « Als ich ihren alten Nerz um sie legte und sie, fast musste ich sie tragen, nach draußen zu einem Taxi und ins Ritz brachte, war es fast zwei Uhr. Hemmungslos schluchzend, gestattete sie mir, ihr beim Zubettgehen behilflich zu sein. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ein menschlicher Körper so viele Tränen in sich bergen konnte, und als ich ihre Hand hielt, fühlte sie sich an, als würde sie brennen. Es wurde mir unheimlich, und ich rief den Hotelarzt.
    Tags darauf fuhr ich mit Tante Mame den ganzen Weg bis nach New York in einem Krankenwagen zurück. Sie weinte immer noch und hatte hohes Fieber. Sie drückte meine Hand, dass ich schon dachte, meine sämtlichen Knochen wären gebrochen, und immer wieder seufzte sie: » Vera, ach, Vera, es sind die einzigen Armreifen, die mir geblieben sind. Alles andere ist weg. Es sind die einzigen Armreifen, die ich habe, Vera. Die einzigen. «
    Daheim in New York steckte Norah sie gleich ins Bett, sie delirierte im Fieber. Wie viele andere Hausangestellte arbeiteten auch Norah und Ito in der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise nur gegen freie Kost und Logis. Aber sie verehrten Tante Mame. Norah kam sogar für den Transport im Krankenwagen und für meine Rückfahrt zur Schule auf. Traurig stand ich in Tante Mames Schlafzimmer und drehte die St.-Boniface-Schulmütze in der Hand. Als ich ging, phantasierte sie immer noch und jammerte wegen der Armreifen. Norah setzte sich neben sie und streichelte ihre fieberheiße Hand. » Scht, scht, meine Gute, scht, scht. So eine hübsche Lady wie Sie, die braucht einen netten Mann. Jetzt schlafen Sie mal erst, meine Liebe, ruhen Sie sich aus, und danach suchen Sie sich einen guten treuen Mann. «
    Ich machte mir große Sorgen um Tante Mame, so dass ich kaum lernen konnte. Zu Thanksgiving schickte sie mir eine kurze förmliche Mitteilung, auf der stand: » Ich habe eine Stellung bei der R. H. Macy Company angenommen. Ich soll Rollschuhe verkaufen, erst mal bis Weihnachten, und es gibt ausgezeichnete Aufstiegsmöglichkeiten. Der Personalchef hat mir gesagt, dass Macy sehr daran interessiert sei, besser gestellte Leute mit Collegeausbildung an sich zu binden. «
    Von da an wurden ihre Briefe fröhlicher. Sie erzählte anrührende und lustige Geschichten aus der Spielzeugabteilung während des vorweihnachtlichen Hochbetriebs, über eine verwelkte österreichische Baronin, die Puppenmamas verkaufte, und über einen ehemaligen Professor am Massachusetts Institute of Technology, der Chemiebaukasten vorführte. Mädchenhaft verschämt gestand mir Tante Mame, die Einweisung in ihren neuen Job sei ein bisschen verwirrend gewesen, und das Verkaufsbuch

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