Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

dich persönlich « , erwiderte Tante Mame verärgert, » ich meine– ihr Männer! In Besonderheit diesen vulgären, prätentiösen Gossendichter Brian O’Bannion. Dieses Ungeheuer! Die arme kleine Agnes erst missbrauchen und sie dann auf Gedeih und Verderb einer strengen und grausamen Welt ausliefern! «
    » Langsam, langsam « , sagte ich. » Was ist denn eigentlich passiert? «
    » Das Unvermeidliche eben! Das Schwein hat die arme Agnes in dem Auto, das ich ihm gekauft habe, nach Kalifornien entführt, hat sie geschwängert, und dann hat er sie sitzen lassen, ohne einen Cent. « Mehrere Frauen stierten zu uns herüber.
    » Kindisch « , sagte ich und fügte hinzu: » Bitte nicht so laut. «
    » Kindisch, allerdings. Glaubst du, ich würde nur so aus Spaß mitten während der Saison New York den Rücken kehren und mit Sack und Pack in dieses kulturlose Nest ziehen? Wie ein verwundetes Tier kam Agnes angekrochen. Ich war der einzige sichere Hafen im Sturm des Lebens. An ihre puritanische Familie konnte Agnes sich natürlich nicht wenden. «
    Mir blieb das Herz stehen. » Wa-was hast du da gerade gesagt? Von wegen, mit Sack und Pack hierherziehen? « Eine schreckliche Erkenntnis dämmerte mir. » Wo steckt Agnes denn jetzt? «
    » Im Old Coolidge House. «
    » Im Old Coolidge House? Mitten hier in Apathy? « Meine Frage war gänzlich überflüssig. Natürlich musste Tante Mame, unter dem Mantel der Verschwiegenheit versteht sich, das einzige Hotel in der Stadt aussuchen, das ein Heiligenschrein der historischen Gesellschaft von New England war, die Versammlungsstätte der Vereinigung der Töchter der Amerikanischen Revolution, des Rotary Clubs, der Wach- und Schließgesellschaft und des Schulaufsichtsrats der St. Boniface Academy.
    » Selbstverständlich mitten hier in Apathy. Ich habe eine recht komfortable Hotelsuite gemietet. Ich musste der armen Agnes helfen, damit sie ihr Kind bekommen kann, und ich musste einen Ort suchen, an dem uns keiner kennt. «
    » Mit anderen Worten « , sagte ich gefasst, » von den fünfzig Bundesstaaten unseres Landes musstest du dich ausgerechnet für Massachusetts entscheiden. Und von den tausenden Orten in Massachusetts musste es ausgerechnet der sein, in dem ich zur Schule gehe. «
    » Aber natürlich, mein lieber Kleiner « , sagte sie mit aufreizender Logik. » Ich wusste, dass du es als deine Pflicht ansehen würdest, der armen, bedrängten Agnes beizustehen. «
    » Nur hast du die arme, bedrängte Agnes gleich neben meiner Schule untergebracht. In diesem Hotel trifft sich die halbe Stadt… «
    » Ich wollte natürlich, dass es zentral gelegen ist. Deswegen habe ich es ja ausgesucht– damit du mir zur Hand gehen kannst, wenn es so weit ist, ein neues Lebewesen auf die Welt zu bringen und das arme, geknickte Pflänzlein wieder aufzupäppeln. «
    » Du bringst mich in Teufels Küche, Tante Mame. In wenigen Wochen bin ich vielleicht endlich raus aus diesem grässlichen Loch, aber wenn die erst mal herausgefunden haben, dass… «
    » Unsinn. Wie sollen die das denn herausfinden? Wir sind gestern Abend bei Dunkelheit angekommen. Die Zimmer habe ich sogar unter falschem Namen gemietet, und ich habe einen Arzt aus Boston engagiert, der die Diskretion in Person ist. Es kann sich nur noch um wenige Wochen handeln, bis das Kind auf die Welt kommt, ich vermache Agnes etwas Geld, bringe sie irgendwo unter, und dann…«, sie machte eine Pause , » habe ich mir überlegt, dass wir zwei, du und ich, eine kleine Reise unternehmen. Ich hatte an Europa gedacht, den ganzen Sommer über. Hättest du Lust? «
    » Nach Europa? « , lechzte ich.
    » Jawohl, mein Lieber, nach Europa « , sagte sie hinterhältig. » Unter einer Bedingung. Dass du mir dabei hilfst, Agnes aus diesem Elend herauszuholen. Abgemacht? «
    Ich wusste, dass ich einen verhängnisvollen Fehler beging, aber die Aussicht auf Froschschenkelsuppe in Paris nach der Salpetersuppe in St. Boniface war unwiderstehlich. » Abgemacht « , sagte ich zähneknirschend.
    » Gut. Und jetzt auf zu Agnes. « Tante Mame bezahlte die Rechnung mit einem Fünfzigdollarschein. Sie schlang den Schleier um den Kopf und schlich sich mit einer solchen Haltung des Geheimnisumwobenen davon, dass ich förmlich spürte, wie sich alle Augenpaare in unsere Rücken bohrten.
    Ihr Rolls-Royce stand draußen, die Fenstergardinen waren vorgezogen, am Steuer saß Ito. Eine Menge Schaulustiger hatte sich versammelt, und sie starrten hinter uns her, wunderten