Darling
Adickesallee blickte, hatte erneut der eiskalte Novemberregen eingesetzt.
39
Adrian wälzte sich völlig zerschlagen in Enzos Bett herum. Er hatte fürchterlich krudes Zeug geträumt. Von Fesseln. Von Clara. Von der toten Patricia. Im Traum hatte er die Rolle des Ledertyps übernommen. Grübelnd starrte er an die Decke. Über ihm hing ein überdimensionaler Ventilator an der Decke, der im Sommer die stickige Luft von der Sonnemannstraße mit rumpelndem Getöse umquirlte.
„Gibt dem Ganzen etwas von Havanna und Cocktails. Von Strand, Sonne und Urlaub“, hatte ihm Enzo vorgeschwärmt, als Adrian ihm im letzten Sommer geholfen hatte, den riesigen Holzquirl in der bröckelnden Stuckdecke zu verankern. Jetzt stand der Ventilator still. Dafür toste draußen auf der viel befahrenen Sonnemannstraße das alltägliche Frankfurter Verkehrschaos.
Regentropfen perlten an den sicher seit Jahren nicht mehr geputzten Fensterscheiben herunter. Irgendwie verschwamm die Welt außerhalb des Zimmers in einem bleiernen Grau.
Erschöpft stieg Adrian aus dem Bett und zündete sich eine Zigarette an. Dann schlurfte er lustlos in die Küche. Die Uhr im Backofen der Einbauküche zeigte kurz nach zehn. Um zwei begann seine nächste Schicht. Da blieb noch hinreichend Zeit zum Duschen und Kaffeetrinken.
Enzos Badezimmer hätte jeder Frau zur Ehre gereicht. Dutzende von Parfümflakons, Duschgels, Gesichtspeelings, Handcremes. Adrian blickte flüchtig in den Spiegel. Er hatte schon mal deutlich besser ausgesehen als heute Morgen. Die tiefen dunklen Ringe unter seinen Augen ließen ihn älter wirken. Nikotin und die Nächte im Taxi hinterließen langsam aber sicher ihre unbarmherzigen Spuren.
Vielleicht sollte er mal ein paar Tage ausspannen und sich abmelden. Es war momentan nichts los in der Stadt. Keine Messe, keine Gäste. Ein paar freie Tage würden ihm sicher guttun. Dann könnte er in Ruhe die Beziehung mit Annika klären. Vielleicht gab es ja doch noch eine Chance? Er würde sie anrufen, um mit ihr zu reden. Oder einfach vorbeifahren. Dann könnte er außerdem ein paar frische Sachen aus der Wohnung holen.
Als er aus der Haustür des heruntergekommenen Altbaus an der Windeckstraße trat, klatschten dicke Regentropfen in sein Gesicht. Flüchtig fiel sein Blick auf die BILD im Zeitungsständer vor dem Kiosk im Erdgeschoss.
„Frankfurt – Hauptstadt des Verbrechens“.
Und direkt darunter prangten Fotos von Patricia und Karl. Es war wie ein Schlag in seine Magengrube. Adrian schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Dann riss er die Zeitung aus dem Ständer.
„Eh, du Arsch, erst bezahlen!“ Der dunkelhaarige Verkäufer war stinksauer.
Zerfahren wühlte Adrian in seiner Hosentasche nach Kleingeld. Seine Finger berührten das Engelamulett von Clara. Er zuckte zurück, als ob er in ein Wespennest gegriffen hatte. Verwirrt suchte er im Innenfutter der Lederjacke nach Kleingeld.
„Was ist los?“, schnauzte ihn der Verkäufer an. „Nix klauen. Erst bezahlen!“
Adrian schnippte einen Euro auf die Theke. Als der Dunkelhaarige das Wechselgeld auf den Tresen legte, war er bereits auf dem Weg zum Taxi auf der anderen Straßenseite.
Fieberhaft flog sein Blick über die Schlagzeilen. Zwei Morde an einem Tag. Inklusive dem Vorwurf, dass die Frankfurter Polizei inkompetent sei. Klare Sache, mit einer Frau an der Spitze der Mordkommission konnte das in einer Stadt, die durch den Tod des berühmtesten Callgirls der Wirtschaftswunderrepublik vor über fünfzig Jahren bekannt geworden war, nicht wirklich gut laufen. Plus dem toten Mädchen aus der Griesheimer Schleuse.
„Erst gegrillt, dann ertränkt“, berief sich das Boulevardblatt auf einen Insiderbericht aus dem Institut der Rechtsmedizin. „Wer kennt die unbekannte Tote? 5000 Euro Belohnung ausgesetzt.“
Adrians Augen flogen hastig über die Zeilen und sahen doch immer nur das gefesselte Mädchen im Menschenaquarium. Auf Seite drei sprang ihm das Foto einer wild gestikulierenden Kommissarin und einer älteren Frau, die einen weißen, anscheinend völlig verstörten Pudel unter ihren Arm geklemmt hatte, entgegen. Die Nachbarin Anneliese S. berichtete, dass Karl B. immer ein anständiger Mensch gewesen sei. Und dass man jetzt sogar im beschaulichen Kuhwald um sein Leben fürchten müsse.
„In der Münchner Straße ist so was normal“, schimpfte die Nachbarin Sabine K. Dass der Tod jetzt so grausam in der beschaulichen Siedlung gewütet hatte, das sei
Weitere Kostenlose Bücher