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Das 1. Buch Des Blutes - 1

Das 1. Buch Des Blutes - 1

Titel: Das 1. Buch Des Blutes - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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schlief. Wir schliefen oft auf dem Boden, das war ihr lieber als das Bett. Betten, sagte sie, erinnerten sie an ihre Ehe. Jedenfalls, in jener Nacht lag sie unter einer Steppdecke auf dem Teppich meines Zimmers, und ich betrachtete, einfach aus inniger Anbetung, ihr schlafendes Gesicht.
    Wenn einer sich rückhaltlos hingegeben hat, kann das Betrachten des Geliebten im Schlaf zu einer scheußlichen Erfahrung werden. Vielleicht hat der eine oder andere von euch diese ohnmächtige Lähmung schon erlebt: hinabzustarren auf Züge, die eurer Erkundung versperrt sind, weggeschlossen von euch, wohin ihr nie und nimmer gelangen könnt - in die Seelenlandschaft des anderen. Wie gesagt, für unser-eins, die wir uns hingegeben haben, ist das ein Grauen. Man wird sich in diesen Augenblicken zutiefst bewußt, daß man nicht existiert, außer im Bezogensein auf jenes Gesicht, jene unverwechselbare Person. Wenn demzufolge jenes Gesicht verschlossen, jene Person in ihre eigene unkennbare Welt entglitten ist, kommt man sich völlig sinn- und zwecklos vor. Ein Planet ohne Sonne, der in der Finsternil dahinkreist.
    So kam ich mir in jener Nacht vor, als ich auf ihre außergewöhnlichen Gesichtszüge hinabsah, und wie ich so meiner Entseeltheit nachgrübelte, begann sich ihr Gesicht zu verändern. Offensichtlich träumte sie; aber in was für Träumen mußte sie da befangen sein. Ihre ganze leibliche Struktur war in Bewegung, ihre Muskeln, ihr Haar, der Flaum auf ihrer Wange bewegten sich nach dem Diktat irgendeiner inneren Strömung. Ihre Lippen sprossen blühend auf von ihrem Knochen, schäumten empor zu einem speicheltriefenden Turm aus Haut; das Haar wirbelte ihr um den Kopf, als läge sie im Wasser; die Substanz ihrer Wangen bildete Furchen und Grate wie die rituellen Narben auf der Haut eines Kriegers; entzündete und pulsierende Gewebemuster, die sich, kaum hatte sich ein Muster gebildet, aufblähten und erneut wandelten. Dieses Fließen erfüllte mich mit Entsetzen, und ich muß irgendein Geräusch gemacht haben. Sie erwachte nicht, geriet aber etwas näher an die Oberfläche des Schlafs, verließ die tieferen Gewässer, wo jene Mächte ihren Ursprung hatten.
    Schlagartig fielen die Muster in sich zusammen, und ihr Gesicht war wieder das einer sanft schlummernden Frau.
    Das war, wie ihr wohl begreift, ein Schlüsselerlebnis, wenngleich.ich die nächsten paar Tage damit hinbrachte, mir selber einzureden, daß ich nichts davon gesehen hatte.
    Die Bemühung war vergeblich. Ich wußte, daß irgend etwas mit ihr nicht stimmte; und zu jenem Zeitpunkt war ich sicher, daß sie nichts davon wußte. Ich war überzeugt, daß irgend etwas in ihrem Organis-mus schieflief und daß ich sehr gut daran täte, erst ihre Geschichte zu durchforschen, bevor ich ihr erzählte, was ich gesehen hatte.
    Wennman’s recht bedenkt, erscheint das natürlich lächerlich naiv. Zu meinen, sie hätte nicht gewußt, daß eine solche Macht in ihr steckte.
    Aber es fiel mir leichter, sie mir als Opfer einer solchen Begabung vorzustellen, und nicht als deren Herrin. Klar, ein Mann spricht hier von einer Frau; nicht bloß ich, Oliver Vassi, von ihr, Jacqueline Ess.
    Wir können es nicht glauben, wir Männer, daß die Macht jemals problemlos im Körper einer Frau residieren wird, es sei denn, diese Macht ist ein männliches Kind. Die wahre Macht nicht. Die Macht gehört ausschließlich in Männerhände, gottgegeben. Das ist es, was unsere Väter uns weismachen, Idioten, die sie sind.
    Jedenfalls, ich stellte, so heimlich, wie es eben ging, Nachforschungen über Jacqueline an. Ich hatte einen Verbindungsmann in York, wo das Ehepaar gewohnt hatte, und es war nicht schwierig, einige Ermittlungen in Gang zu bringen. Erst nach einer Woche kehrte mein Verbindungsmann zu mir zurück, weil er sich durch eine ganze Menge Scheißkram von der Polizei hatte durchgraben müssen, um an eine Spur der Wahrheit zu kommen; aber dann war die Nachricht da, und sie war schlecht.
    Ben war tot, so viel war richtig. Aber in gar keiner Weise war er an Krebs gestorben. Mein Kontaktmann hatte nur die verschwommen-sten Andeutungen hinsichtlich des Zustands von Bens Leichnam erhalten, aber er schloß daraus, daß man ihn unglaublich verstümmelt hatte. Und der Hauptverdächtige? Meine geliebte Jacqueline Ess.
    Ebenjene Unschuldige, die meine vier Wände bewohnte und jede Nacht an meiner Seite schlief.
    Also hielt ich ihr vor, daß sie mir etwas verheimliche. Ich weiß nicht, welche Gegenleistung

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