Das 1. Buch Des Blutes - 1
Figur zu machen. Überall glaubte er Virginia zu sehen: in den Hallen der Hotels, in denen sie nachmittags ein Zimmer nahmen, in Taxis, die unten auf der Straße vor ihrem Liebesnest herumfuhren, einmal sogar (er schwor, die Ähnlichkeit wäre perfekt) als Kellnerin verkleidet, wie sie einen Tisch in einem Restaurant abwischte. Alles zusammenphantasierte Ängste, aber sie dämpften doch etwas die Spontaneität der Liebschaft.
Trotzdem, sie lernte von ihm. Als Potentat war er so brillant wie als Liebhaber ungeeignet. Sie lernte, wie man mächtig ist, ohne die Macht auszuüben, wie man sein Selbst vom Unflat reinhält, den das Charisma regelmäßig bei den Uncharismatischen aufwirbelt; wie man die klaren Entscheidungen klipp und klar trifft; wie man erbarmungslos ist. Nicht daß sie auf diesem speziellen Sektor viel Unterricht nötig hatte. Vielleicht war es wahrheitsgemäßer zu sagen, daß er sie lehrte, nie ihren absoluten Mangel an instinktivem Mitgefühl zu bedauern, sondern allein mit ihrem Intellekt zu beurteilen, wer die Auslöschung verdiente und wer letztlich zu den Rechtschaffenen zu zählen war.
Nicht ein einziges Mal zeigte sie sich ihm selbst, obgleich sie ihre Fähigkeiten auf allerheimlichste Art dazu benutzte, aus seinen verbrauchten Nerven Lust herauszukitzeln.
In der vierten Woche ihrer Affäre lagen sie nebeneinander in einem lila Zimmer; von der Straße unten knurrte der Verkehr des fortgeschrittenen Nachmittags herauf. Der Sex war ein klägliches Gerangel gewesen; er war nervös, und keine Tricks konnten ihn aus sich selbst herauslocken. Es war schnell vorbei, fast ohne jegliche Leidenschaft.
Er war im Begriff, ihr etwas zu sagen. Sie wußte das: Irgendwo hinten in seiner Kehle wartete sie, diese Enthüllung. Sie wandte sich ihm zu, massierte ihm mit ihren Gedanken die Schläfen und linderte ihn ins Reden hinein.
Er war dabei, den Tag zu ruinieren.
Er war dabei, seine Karriere zu ruinieren.
Er war dabei, Gott sei’s geklagt, sich selbst zu ruinieren.
»Ich kann mich unmöglich weiter mit dir treffen«, sagte er.
Das wagt er nicht, dachte sie.
»Ich bin mir nicht sicher bei dem, was ich von dir weiß, oder vielmehr, was ich glaube, von dir zu wissen, aber es macht mich… dir gegenüber vorsichtig, J. Verstehst du?«
»Nein.«
»Schlimmerweise hab’ ich den Verdacht, du hast … Verbrechen begangen.«
»Verbrechen?«
»In deiner Vergangenheit.«
»Wer hat rumgewühlt?« fragte sie. »Virginia doch bestimmt nicht?«
»Nein, nicht Virginia, Neugier ist unter ihrer Würde.«
»Wer dann?«
»Das geht dich nichts an.«
»Wer?«
Sie drücke leicht gegen seine Schläfen. Es tat ihm weh, und er zuckte zusammen.
»Was hast du?« fragte sie.
»Kopfweh.«
»Anspannung, sonst nichts, die reine Anspannung. Paß auf, gleich ist sie weg, Titus.« Sie brachte ihre Finger mit seiner Stirn in Berührung, lockerte ihren Zugriff. Er seufzte, als die Erleichterung eintrat.
»So besser?«
»Ja.«
»Wer war der Schnüffler, Titus?«
»Ich hab’ einen Privatsekretär, Lyndon. Hab’ ihn vor dir schon erwähnt. Er wußte über unsere Beziehung von Anfang an Bescheid.
Mehr noch, er bucht die Hotelzimmer, arrangiert meine Alibi-Geschichten für Virginia.«
In seinen Worten schwang etwas Jungenhaftes mit, das ziemlich rührend war. So, als ob er nicht wirklich untröstlich wäre, sie zu verlassen, sondern eher verlegen. »Lyndon ist ein wahrer Wundertäter. Er hat eine Menge Dinge gedeichselt, um unsere Situation einigermaßen annehmbar zu machen. Er hat also nichts gegen dich.
Bloß hat er eben zufällig eines der Fotos zu Gesicht gekriegt, die ich von dir gemacht habe. Ich hab’ sie ihm für den Reißwolf gegeben.«
»Warum?«
»Ich hätt’ sie nicht machen sollen; es war ein Fehler. Womöglich hätte Virginia…« Er hielt inne, begann von neuem. »Jedenfalls hat er dich wiedererkannt, konnte sich aber nicht erinnern, wo er dich schon mal gesehen hatte.«
»Aber schließlich hat er sich erinnert.«
»Er hat früher für eine meiner Zeitungen gearbeitet, als Klatschko-lumnist. Auf die Weise ist er dann mein Privatassistent geworden. Et erinnerte sich an dich aufgrund deiner vorherigen Inkarnation, sozusagen. Jacqueline Ess, Ehefrau von Benjamin Ess, verstorben.«
»Verstorben.«
»Er brachte mir einige andere Fotografien, keine so hübschen wie die von dir.«
»Und was war da drauf?«
»Dein Zuhause. Und der Körper deines Mannes. Erklärtermaßen war’s ein Körper, obwohl, bei
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