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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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seine Strategien zu unterhalten. Ihre gemeinsamen Strategien. Um ihn zu fragen, warum er sie ausgewählt hatte.
    Sie kam aus der Gasse heraus und beobachtete die Vorgänge an der Eingangstür ihres Hauses von der Straßenecke aus. Dieses Mal waren es mehr als zwei Männer; sie zählte mindestens vier, die das Haus betraten und wieder verließen. Was machten sie? Wahrscheinlich durchstöberten sie ihre Liebesbriefe und ihre Unterwäsche, suchten ihre Bettlaken nach vereinzelten Haaren ab und den Spiegel nach Spuren ihres Spiegelbilds.
    Aber selbst wenn sie die Wohnung auf den Kopf stellten, wenn sie jeden Abdruck und jeden Gegenstand untersuchten, würden sie keine Beweise finden. Sollten sie getrost suchen. Die Geliebte war entflohen. Nur die Flecken ihrer Tränen waren noch da und die Fliegen um die Glühbirnen, die ihr Loblied sangen.
    Die Nacht war sternenklar, aber als sie sich dem Stadtzentrum näherte, löschte die Weihnachtsbeleuchtung an Bäumen und Häusern das Licht der Sterne aus. Um diese Zeit hatten die meisten Geschäfte geschlossen, aber auf den Gehwegen waren noch zahlreiche Müßiggänger mit Schaufensterbummeln beschäftigt. Elaine hatte die Schaufenster jedoch bald satt, den Tand und die Puppen, und bog von der Hauptstraße ab in die Nebenstraßen. Dort war es dunkler, was ihrem geistesabwesenden Zustand gelegen kam. Musik und Gelächter drangen aus offenen Bartüren; in einem der oben gelegenen Spielsäle brach ein Streit aus, Fausthiebe wurden verteilt; unter einem Torbogen scherten sich zwei Liebende nicht um Diskretion; unter einem anderen pißte ein Mann mit der Inbrunst eines Pferdes.
    Erst in der vergleichsweisen Stille dieser Nebenstraßen bemerkte sie, daß sie nicht alleine war. Schritte folgten ihr, die sorgfältige Distanz hielten, sich aber nie sehr weit entfernten.
    Waren ihr die Schergen gefolgt? Umzingelten sie sie in diesem Augenblick und schickten sich an, sie in ihren beengenden Gewahrsam zu nehmen? Wenn ja, würde eine Flucht das Unvermeidliche nur hinauszögern. Es war besser, sie hier zu konfrontieren und herauszufordern, in den Wirkungskreis ihrer Verseuchung zu kommen. Sie versteckte sich nicht und lauschte, wie die Schritte näher kamen, bis sie etwas sehen konnte.
    Es war nicht das Gesetz, sondern Kavanagh. Ihrem anfänglichen Schock folgte fast unmittelbar die Erkenntnis, warum er sie verfolgte. Sie betrachtete ihn. Seine Haut war so straff über den Schädel gespannt, daß sie im trüben Licht den Knochen schimmern sehen konnte. Wie kam es, fragten ihre wirbelnden Gedanken, daß sie ihn nicht früher erkannt hatte. Daß sie nicht schon bei ihrer ersten Begegnung, als er von den Toten und ihrer Schönheit sprach, erkannt hatte, daß deren Schöpfer vor ihr stand?
    »Ich bin Ihnen gefolgt«, sagte er.
    »Den ganzen Weg vom Haus?«
    Er nickte. »Was haben sie Ihnen erzählt?« fragte er sie. »Die Polizisten. Was haben sie gesagt?«
    »Nichts, das ich nicht schon vermutet hätte«, antwortete sie.
    »Sie haben es gewußt?«
    »In gewisser Weise. Ich muß es wohl gewußt haben, im Grunde meines Herzens. Erinnern Sie sich an unsere erste Unterhaltung?«
    Er murmelte zustimmend.
    »Was Sie über den Tod gesagt haben. Dieses Eigenlob.«
    Plötzlich grinste er und zeigte noch mehr Knochen. »Ja«, sagte er. »Was müssen Sie nur von mir halten?«
    »Es ergab schon damals in gewisser Weise einen Sinn für mich. Nur wußte ich nicht, warum. Wußte nicht, was die Zukunft bringen würde…«
    »Was bringt sie denn?« erkundigte er sich leise bei ihr.
    Sie zuckte mit den Achseln. »Der Tod hat die ganze Zeit auf mich gewartet, habe ich recht?«
    »O ja«, sagte er und war erfreut, daß sie die Situation zwischen ihnen begriff. Er kam einen Schritt auf sie zu und streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus.
    »Sie sind bemerkenswert«, sagte er.
    »Eigentlich nicht.«
    »Aber so ungerührt zu sein. So kalt.«
    »Wovor sollte ich Angst haben?« fragte sie. Er streichelte ihre Wange. Da rechnete sie beinahe damit, daß die Kapuze seiner Haut aufreißen würde und daß die Murmeln, die sich in seinen Augenhöhlen vergnügten, herausfallen und zerschellen würden. Aber er hielt seine Verkleidung aufrecht, um den Schein zu wahren.
    »Ich will dich«, sagte er zu ihr.
    »Ja«, sagte sie. Selbstverständlich wollte er sie. Von Anfang an hatte jedes seiner Worte das ausgedrückt, aber sie war nicht gescheit genug gewesen, das zu verstehen. Jede Liebesge-schichte war – am Ende – eine

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