Das 9. Urteil
einfach da, die Hände um das Lenkrad gekrallt, während der Schmerz durch ihren Knöchel pulsierte, und dachte voll Stolz an ihr nur Minuten währendes, atemberaubendes Abenteuer zurück.
Es war unglaublich.
Jim Morley hatte sie »Kitty« genannt.
Er hatte die Badezimmertür aufgemacht und sie direkt angeschaut. Und trotzdem war sie immer noch frei.
Zumindest noch , sagte sich Sarah. Unter ihrem Fahrersitz lagen genügend Beweise, um sie für zwanzig Jahre hinter Gitter zu bringen, und das auch nur dann, wenn sie nicht wegen Mordes angeklagt wurde.
Sie schüttelte sich die Haare auf, streifte die blau karierte Bluse über, die sie auf dem Rücksitz bereitgelegt hatte, und ließ den Motor an. Sie rollte auf die Columbus Avenue, achtete sorgfältig darauf, nicht zu schnell zu fahren, während sie Chestnut Street und Francisco Street passierte und die Bay Street ansteuerte. Der Erfolg verlieh ihr ein schwebendes Hochgefühl, und sie fing an, an die bevorstehende Begegnung mit Heidi zu denken.
Sie stellte sich vor, wie sie Heidi die Wahrheit sagte, wie sie ihr eröffnete, dass ihre Beute ihnen die Freiheit ermöglichen würde, vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens, dass ihre Fantasien von einem gemeinsamen Leben, einer gemeinsamen Familie, wahr werden würden.
Während sie sich ausmalte, wie Heidi in die Hände klatschen und ihr um den Hals fallen würde, bohrte sich ein entferntes Geräusch in Sarahs Bewusstsein, so lange, bis es sich nicht mehr länger überhören ließ. Das unablässige Heulen kam von hinten und wurde immer lauter, je näher es kam. Sie schaute in den Rückspiegel und sah rote Lichter blinken.
Polizei.
Die waren doch nicht hinter ihr her – oder doch? Hatte Jim Morley etwa die Polizei verständigt? Vielleicht hatte der Parkwärter sie die Straße entlanghumpeln sehen, nachdem Morley Alarm geschlagen hatte. Aber eigentlich war sie sich sicher, dass ihr niemand zu ihrem Wagen gefolgt war.
Wo hatte sie den entscheidenden Fehler gemacht?
Sarahs Gedankenstrom versiegte, und das Herz sprengte ihr beinahe den Brustkorb, als sie an den Straßenrand fuhr. Sie schob den Leinenbeutel noch weiter unter den Sitz, blickte gebannt in den Rückspiegel und sah, wie der Streifenwagen direkt hinter ihr zum Stehen kam.
49
Sarah brauchte ein paar Augenblicke, um sich ein Alibi zurechtzubasteln, und dabei brach sie innerlich fast zusammen. Sie war weit von ihrem Zuhause entfernt, und ganz bestimmt machte sie einen irgendwie schuldbewussten Eindruck. Als sich die Fahrertür des Streifenwagens öffnete und der Mann mit der Schirmmütze ausstieg und näher kam, brach ihr am ganzen Körper der Schweiß aus.
Seine Augen lagen im Schatten der Mütze, aber Sarah registrierte das kantige Kinn, die gerade Nase, das fehlende Lächeln. Er wirkte von Kopf bis Fuß wie ein Beamter, mit dem nicht zu spaßen war.
»Führerschein und Wagenpapiere, bitte.«
»Ja, Sir«, sagte Sarah. Sie fummelte im Handschuhfach herum. Dort lag ihre Brieftasche, gleich auf dem Straßenatlas. Ihre Hände waren glitschig vor Nervosität, Kreditkarten fielen zu Boden. Sarah griff nach ihrem Führerschein, tauchte noch einmal ins Handschuhfach, förderte die Fahrzeugpapiere zutage und reichte beides dem Beamten.
»Habe ich etwas falsch gemacht, Sir? War ich zu schnell?«
Der Polizist ließ den Strahl seiner Taschenlampe über die Papiere wandern, sagte, er sei gleich wieder zurück, und ging zu seinem Wagen, um ihre Daten in den Computer einzuspeisen.
Rote Lichter blinkten in ihrem Rückspiegel. Sarah konnte nur einen einzigen vernünftigen Gedanken fassen – nämlich, dass der Einbruch bei den Morleys das Idiotischste war, was sie jemals unternommen hatte. Sie malte sich aus, wie der Polizist sie aus dem Wagen steigen ließ, wie er ihr befahl, die Hände auf die Motorhaube zu legen. Wie leicht er Dorian Morleys Schmuck entdecken würde.
Das Warten wollte kein Ende nehmen, und sie stellte sich vor, wie noch mehr Streifenwagen ankamen, wie Polizisten sie umringten und lachten, weil sie sie auf frischer Tat ertappt hatten. Wie sie verhört wurde, so lange, bis sie ein Geständnis ablegte – was sie sofort gemacht hätte, da es angesichts der Beweise nichts mehr abzustreiten gab.
Die Schmerzen in Sarahs Knöchel waren unerträglich, und jetzt setzte auch noch ein heftiges Schwindelgefühl ein, das sich in Übelkeit verwandelte.
Was würde mit ihr geschehen? Was würde mit Heidi geschehen?
Ein Lichtstrahl drang ihr in die Augen,
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