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Das abartige Artefakt

Das abartige Artefakt

Titel: Das abartige Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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grauer Bart hatte beinahe das vollkommene Weiß eines Tausendjährigen, sein Körper war in sich zusammengefallen, unter der Haut zeichneten sich seine Knochen ab, und man hatte den Eindruck, dass der Tod ihn lediglich deshalb verschont hatte, weil die Tür der Kammer verschlossen gewesen war. Unter den dichten Augenbrauen des Alten aber blinzelten zwei hellwache Augen hervor. Er wirkte wie ein Tier, das nur darauf wartete, seinem Gefängnis zu entfliehen. Als hätte er die gesamte ihm verbliebene Kraft für den Moment aufgespart, in dem sich die Möglichkeit zur Flucht ergab. Verwundert trat der Schicksalszwerg näher und betrachtete den Gefangenen.
    Etwas an ihm kam ihnen merkwürdig vor. Er besaß nämlich eine frappierende Ähnlichkeit mit einem ganz bestimmten Zwerg. Vor allem die fehlende Nase ließ keinen Zweifel offen. Blechboldt schluckte. Denn in diesem Moment ging ihm auf, was es war, das er zuvor gerochen hatte, als sie dem Kommandanten entgegengetreten waren. Flammrank entging das staunende Schweigen seiner Gefährten nicht.
    „Was ist los?“, fragte er ungeduldig. „Was seht ihr? Glaubt mir, wenn ihr mich ärgern wollt, werde ich euch nackt durch die Gänge zurücktreiben…“
    „Es ist der andere Gefangene…“ Die Stimme des Allerhöchsten zitterte. „Er sieht genauso aus wie Kholk Stheinar. Beinahe, als wären sie aus einem Ei geschlüpft { * } !“
    Plötzlich erklang hinter ihnen eine Stimme.
    „Das ist so nicht ganz richtig. Obwohl diese Aussage mir durchaus schmeichelt.“ Und dort in der Tür, in Begleitung von sechs kräftigen Kerkerwachen, stand das exakte Ebenbild des mysteriösen Gefangenen: der Kommandant der Verliese, Kholk Stheinar. Einer seiner Männer schloss die Tür, während die anderen die Gefährten mit vorgehaltenen Stahlschleudern tiefer ins Innere der Höhle drängten.
    „Es funktioniert, solange wir nicht nebeneinanderstehen. Eine kaum zu durchschauende Verkleidung, beinahe vollkommen, nicht wahr?“, sagte der falsche Stheinar.
    „Abgesehen vielleicht vom Silberseim { ** } !“, meldete sich Blechboldt zu Wort.
    Das war es, was der Ferkelbändiger gerochen hatte. Mit dieser Substanz hatte sich der Zwerg den Bart gefärbt, damit er dem des Kommandanten glich. Und den Geruch von Silberseim kannte Blechboldt, weil ein Extrakt der Flüssigkeit, die aus dem Moos der Teerhöhlen gewonnen wurde, Teil jenes falschen Bieres war, mit dem er sein persönliches Problem zu verbergen suchte. Ein gewöhnlicher Zwerg kam mit Silberseim allenfalls in Berührung, wenn er beim Teersammeln ausrutschte und sich auf einem der moosbewachsenen Felsen den Bart prellte.
    Die Augen des fremden Zwergs verengten sich.
    „Du hast den Silberseim gerochen? Aber ich habe ihn mit Wanzwurz gestreckt, er ist kaum noch wahrzunehmen. Wie vermagst du…“
    „Wanzwurz habe ich früher auch benutzt“, sagte Blechboldt. „Aber er verbirgt den Geruch des Seims nicht halb so gut wie Erzferkelspeichel. Zwei Tropfen auf einen Humpen und niemand riecht mehr irgendetwas!“
    „Oh, ich bin dir recht dankbar für diesen Hinweis, Zwerg. Mit deiner Hilfe wird meine Tarnung in Zukunft noch ein wenig vollkommener sein. Ich werde meine Männer darum bitten, dich etwas weniger fest an die Wand zu schmieden, damit du dich in den nächsten Jahren von Zeit zu Zeit ein wenig strecken kannst.“
    Die Dankbarkeit des Ferkelbändigers für diese Gnade hielt sich in Grenzen. Aber ein Aufbegehren schien angesichts der auf sie gerichteten Schusswaffen weder ihm noch einem seiner Begleiter angebracht.
    Im nächsten Moment holte einer der muskelbepackten Wachzwerge Hammer, Eisen und einige weitere Schmiedeutensilien herbei, während ein anderer den Gefährten ihren Besitz abzunehmen begann – ihre Waffen, ihre Helme und Taschen, darin auch Blechboldts Falschbier, das restliche Gottkraut und zu guter Letzt den Stein.
    Alles landete auf einem großen Haufen.
    Schaudernd sah der Allerhöchste dem Geschehen zu und beschloss, einen letzten Vorstoß zu wagen. Mit stolz erhobenem Haupt trat er dem falschen Kommandanten entgegen.
    „Impertinenter Zwerg! Weißt du denn nicht, wen du vor dir hast? Ich bin der eine unter den anderen, den man auch den anderen unter den einen nennt, der Träumende unter den Schlafenden, der Glänzende inmitten der Matten! Ich bin der Allerüberhöchste, und meine Gefährten sind kein Geringerer als der Schicksalszwerg, Bezwinger des Neuen Stahls, Bewahrer des Imperiums und…“
    „Und ich bin der, dem

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