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 Das Abkommen

Das Abkommen

Titel: Das Abkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kyle Mills
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Großraumbüro im Laufschritt – den kleinen Menschenknäueln aus tratschenden Mitarbeitern wich ich aus, die in der Luft liegende Neugierde ignorierte ich einfach. Als ich um die Ecke bog, sah ich Miss Davenports Gesicht über der Trennwand vor ihrem Arbeitsplatz schweben. Sie suchte den Horizont ab wie ein Seemann, der sich Sorgen wegen Eisbergen macht.
    »Warum kommen Sie zu spät?«, sagte sie, während ich Mühe hatte, auf dem glatten Teppichboden vor ihr zum Stehen zu kommen. In ihrer Stimme lag ein sonderbares Quengeln, das ich vorher noch nie bei ihr gehört hatte. Es genügte, um ihre übliche autoritäre Bestimmtheit etwas aufzuweichen.
    »Ich war die ganze Nacht hier und habe an meinem Bericht gearbeitet«, log ich. »Außerdem komme ich nicht zu spät. Es ist erst Viertel nach acht.«
    Das schien Miss Davenport zu verwirren, daher vergewisserte ich mich mit einem Blick auf die in meinen Büro hängende Marlboro-Uhr, dass ich recht hatte. Auf der Uhr war es genau achtzehn Minuten nach acht. Genug Zeit, um alle Beweise für meine kurzzeitige, alkoholbedingte Unzurechnungsfähigkeit gestern Abend zu vernichten und dem Vorstand die auf meiner Festplatte gespeicherten zwanzig Seiten mit ständig wiedergekautem Gefasel zu bringen. Der Bericht würde mir zwar keine Lobeshymnen einbringen, aber er war auch nicht so grottenschlecht, dass man mich dafür feuern würde.
    Ich täuschte einen Ausfall nach rechts an, rannte dann aber links an ihr vorbei zur Kaffeemaschine, die auf einem Aktenschrank stand.
    »In fünf Minuten haben Sie meinen Bericht, Miss Davenport. Tut mir leid, dass es so knapp geworden ist. Wenn Sie es mit dem Kopieren nicht allein schaffen, helfe ich Ihnen gern.«
    »Was für ein Bericht?«
    »Der Bericht für den Vorstand .« Ich versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen. »Der Bericht, an den Sie mich seit zwei Wochen stündlich erinnern.«
    Das schien sie nur noch mehr zu verwirren, und ich fragte mich, ob sie nicht vielleicht einen jener leichten Schlaganfälle hatte, die für Leute in ihrem Alter typisch waren. Dem neuen Bericht der Gesundheitsbehörde zufolge hatten Raucher ein um 31 Prozent höheres Risiko, einen Schlaganfall zu bekommen …
    »Miss Davenport, geht es Ihnen gut?«
    »Ich habe ihn gar nicht gesehen!«
    Ich zuckte mit den Achseln und trank einen Schluck Kaffee. Er war zu heiß, und ich sog Luft ein, um ihn etwas abzukühlen. »Er ist noch in meinem Computer. Ich weiß, ich hätte ihn für Sie ausdrucken und auf Ihren Schreibtisch legen sollen, bevor ich heute Nacht gegangen bin, aber dazu war ich viel zu kaputt.«
    Ich wollte mich umdrehen und in mein Büro gehen, doch ihr Gesichtsausdruck hielt mich davon ab. Es war eigentlich nicht der Ausdruck selbst – eher die Tatsache, dass er an ihrem Gesicht festgefroren schien.
    »Jetzt mal ehrlich, Miss Davenport. Ist wirklich alles in Ordnung mit …«
    »Woher hätte ich denn wissen sollen, dass er noch in Ihrem Computer ist?« Sie schrie es mir fast entgegen. »Ich hatte doch keine Ahnung!«
    Ich trat einen Schritt zurück und brachte etwas Abstand zwischen uns, nur für den Fall, dass sie mich angreifen wollte. »Ähm, kein Problem, Miss Davenport. Ich werde mich selbst ums Kopieren kümmern und dann alles nach oben bringen, wenn ich fertig bin – dann haben Sie überhaupt keine Arbeit damit. Zehn Uhr, richtig?«
    Sie fing an, mit der Kette ihrer Brille zu spielen. »Die … die Sitzung wurde vorverlegt.«
    Ich blinzelte ein paarmal. »Was?«
    »Sie hat vor einer halben Stunde angefangen. Ich habe versucht, Sie anzurufen, aber Sie sind nicht ans Telefon gegangen.«
    Als mir klar wurde, was sie gesagt hatte, spürte ich, wie die leichte Übelkeit, die noch von meinem Kater übrig geblieben war, stärker wurde. »Soll das etwa heißen, dass … dass der gesamte Vorstand gerade dabei ist, eine Sitzung über Berichte zu halten, die er gar nicht hat?«
    Miss Davenport schüttelte den Kopf. »Die Berichte von der Forschung und der Rechtsabteilung lagen auf Ihrem Schreibtisch. Ich habe von der Poststelle Kopien machen lassen. Mr Barnett, ich habe überall danach gesucht. Ich habe es sogar mit Ihrem Computer versucht, aber zu den meisten Dateien habe ich ja keinen Zugang …«
    Ich fing an zu hyperventilieren, als ich mir vorstellte, wie die Vorstandsmitglieder eines der größten Unternehmen der Vereinigten Staaten von Amerika – Männer und Frauen, die Industriekapitäne der Wirtschaft waren, ehemalige hochrangige Politiker

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