Das achte Tor
genauso beeindruckend waren ihre blasse Haut, die hohen Wangenknochen und die etwas eingefal-lenen Wangen, die ihre Lippen besonders hervorhoben.
Nathan musste den Blick von ihr abwenden.
»Soll ich dir helfen aufzustehen?«
»Nein.«
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Sie war hübsch, aber nicht gesprächig. Wie, zum Teufel, hatte sie den fünfzig Kilo schweren Rottweiler so zurichten können? Sie musste eine Waffe besitzen, denn es war für Nathan nicht vorstellbar, was, außer einer Kettensäge oder einer Panzerfaust, zu solch einem Gemetzel fähig gewesen wäre.
Shaé unternahm zwei zögerliche Schritte in Richtung Parkplatz. Ihre Kehle war ausgetrocknet und tat weh, und sie verspürte das dringende Bedürfnis, ihren Kopf in ein Wasserbecken zu tauchen und zu trinken, endlos zu trinken. Sie schwankte. Als Nathan ihr hilfsbereit unter den Arm greifen wollte, riss sie sich sofort los.
»Entschuldige bitte«, rechtfertigte sie sich gegenüber dem überraschten Nathan. »Ich mag nicht, wenn man mich anfasst.«
Sie kehrten zurück und gingen dabei vorsichtig den blutigen Überresten des Rottweilers aus dem Weg. Als sie bei der Lagerhalle um die Ecke bogen, hielt Nathan Ausschau nach Rafis dunkler Limousine.
Die Straße war leer.
Der alte Mann war vielleicht nicht bösartig, eher ängstlich, aber Nathan fluchte innerlich, dass er wenigstens hätte warten oder die Polizei rufen können.
Von den vier Kerlen, die Shaé angegriffen hatten, war nur noch Eddy übrig, der offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, sie nach der Begegnung mit Killer gesund und munter wiederzusehen. Er blieb vor Überraschung eine Sekunde lang reglos stehen, verspürte aber offenbar wenig Lust, sein Verhältnis zu Nathan zu vertiefen, und humpelte zu einem in der Nähe geparkten Auto. Seine Kollegen waren anscheinend zu Fuß getürmt.
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»Geht’s?«, erkundigte sich Nathan. »Ich meine, kann ich dir irgendwie helfen?«
Shaé kämmte sich die schwarze Strähne aus dem Gesicht.
»Du hast schon sehr viel für mich getan. Ich werde …
was ist das?«
Nathan war stehen geblieben und starrte auf einen schwarzen Wagen, der am Straßenrand anhielt. Eine eigenartige Vorahnung bahnte sich einen Weg durch sein Gehirn. Eine Nachricht:
»Die Helluren besitzen ein unfertiges Gehirn und können keine langfristigen Planungen durchführen. Allerdings lernen sie schnell. Und diese Eigenschaft, in Verbindung mit ihrer Fähigkeit zur Mimikry, macht sie zu ernsthaften Gegnern.«
Fünf Männer in dunklen Anzügen, mit breitkrempigen Hüten und Sonnenbrillen stiegen aus dem Fahrzeug.
Nathan ergriff Shaés Arm.
»Lass uns gehen«, sagte er.
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ddy kapierte gar nichts mehr.
E Alles hatte doch perfekt begonnen. Und so plötzlich.
Seit einer Woche war ihm die Polizei auf den Fersen und wartete nur auf einen Vorwand, um ihn einzulo-chen. Da ihm die Innenstadt zu heiß geworden war, hatte er beschlossen, sich zu verdünnisieren. Zusammen mit seinen Kumpels war er also ziellos über diesen verlas-senen Parkplatz gestreunt, als er auf einmal das Mädchen entdeckte, dem er bittere Rache für die Demütigung am Abend zuvor geschworen hatte. Sein Herz hüpfte vor Freude, als er sie wiedererkannte. Die ganze Nacht waren Wut und Frust immer wieder in ihm hochgekommen –
und jetzt fiel sie ihm einfach so in die Hände. Es war zu schön, um wahr zu sein.
Seine Kumpel – diesmal waren sie von einem anderen Kaliber – halfen ihm dabei, sie einzukeilen. Shaé bemerkte sie erst im letzten Moment, was Eddy ein bisschen schade fand. Wäre sie vorher weggerannt, hätte er Killer auf sie loslassen können. Doch dann überlegte er es sich anders. Sie von Killer umbringen zu lassen wäre sicherlich amüsant gewesen, aber ein viel zu kurzes Vergnügen.
Und dann tauchte dieser Typ auf und machte alle Plä-
ne zunichte.
Innerhalb weniger Sekunden und mit ein paar Schlägen räumte er drei von Eddys Kumpels aus dem Weg; als 87
wären sie wehrlose kleine Jungs. Unterdessen fiel Killer –
der Einzige, der die Situation hätte wenden können –
nichts Besseres ein, als sich an die Verfolgung des Mädchens zu machen.
Eddy fing sich eine Ohrfeige, dass ihm die Luft wegblieb, während sich seine Kameraden in der Zwischenzeit aus dem Staub machten und ihn alleine auf dem Parkplatz zurückließen.
Er rief Killer.
Unsicher.
Eine innere Stimme flüsterte ihm zu, dass der Rottweiler diesmal seinen Meister gefunden hatte. Wie zur Bestä-
tigung dieser Eingebung tauchten das Mädchen
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