Das Aion - Kinder der Sonne
Rigger einen sanften, etwa fünf Meter tiefen Abhang hinabmanövrieren – was er mit so viel Schwung tat, dass Mira der Magen fast bis zum Hals hüpfte.
»Etwas weniger Verve, mein Junge!«, tadelte ihn Dr. Gayot für seinen Übermut. »Wir wollen alle heil ankommen.«
Jiril warf einen Applaus heischenden Blick zu Mira. Dann lenkte er das Luftkissenboot bis in die Mitte des Wadis und nahm schließlich Kurs Richtung Nordwesten.
Auf seinem Weg in die Tiefebene, in der auch Miras Dorf lag, war der ehemalige Fluss, der das Tal ausgewaschen hatte, nicht sehr lange vom Hochland aufgehalten worden. Irgendwann hatte sich der immer größer werdende See, der sich vor langer Zeit vor den Bergen gebildet haben musste, so hoch aufgestaut, dass sein Wasser begonnen hatte, durch einen schmalen Taleinschnitt durchs Hochland zu fließen. Es hatte womöglich zuerst als unscheinbares Rinnsal angefangen, war dann zu einem immer wilder werdenden Bach angeschwollen, bis er schließlich als reißender Strom ein breites Flussbett ins Gestein des Plateaus gewaschen hatte. An der tiefsten Stelle des Wadis türmten sich die steilen Seitenwände fast einhundert Meter hoch auf. Sowohl der See als auch der mächtige Strom waren seit vielen Jahrhunderten ausgetrocknet. Nur an wenigen Stellen zeugten kleine flache Tümpel und spärliche Pflanzen vom einstigen Wasserlauf.
Wieder gelangten sie an die unsichtbare Barriere, welche die Beta-Zone umschloss. Dr. Gayot öffnete das Kraftfeld einfach per Fernsteuerung, sodass Jiril den Rigger nicht einmal anhalten musste. Kaum hatten sie die Beta-Zone erreicht, griff Ben zum Funkgerät, um das Dorf über ihre nahende Ankunft zu informieren.
»Ich erhalte keine Antwort«, berichtete er nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen ratlos, wobei er sich die Kopfhörer gegen die Ohren drückte. »Nichts zu hören, nur Rauschen.«
»Das liegt mit Sicherheit an den Steilwänden«, erklärte Dr. Gayot. »Warte, bis wir die Ebene erreicht haben.«
»Vielleicht ein Sandsturm«, murmelte Jiril und sah in die Ferne. Mira tat es ihm gleich, konnte aber keine Anzeichen für einen Sturm erkennen. Daher schüttelte sie nur stumm den Kopf und schwieg, wobei jedoch ein ungutes Gefühl in ihr zu keimen begann.
»Seht doch«, rief Jiril, als das Wadi hinter ihnen lag und die Weite der Tiefebene sich vor ihnen ausbreitete. Er deutete zum Horizont, wo dunkle Rauchwolken aufstiegen.
»Das ist Iférana«, rief Ben aus. »Im Dorf muss ein Feuer ausgebrochen sein.«
»Mehrere Feuer«, berichtigte ihn Dr. Gayot. »Offenbar ist auch die Sendestation betroffen.«
Aus dem beklemmenden Gefühl in Miras Brust wurde im Nu lähmende Angst. Ben, der ihre Bestürzung zu fühlen schien, warf dem Mädchen einen prüfenden Blick zu.
»Du darfst nicht gleich das Schlimmste denken«, sagte er. Sein ernster Blick verriet Mira jedoch, dass auch er Unheil befürchtete.
Als sie die Siedlung endlich erreichten, fanden sie in den Straßen ein heilloses Durcheinander vor. Die Feuer schienen an zahlreichen Stellen des Dorfes gleichzeitig ausgebrochen zu sein. Viele von ihnen waren bereits wieder erloschen, nur vereinzelt züngelten noch Flammen innerhalb eingestürzter Hausmauern.
Die Straßen waren menschenleer. Stattdessen irrten Hunde, Ziegen und Schiddleggs umher, ohne dass jemand Notiz von ihnen nahm. Die meisten Tiere waren aus teils niedergebrannten Ställen ausgebrochen und nahmen Reißaus, als das Luftkissenboot sich näherte. Nur wenige erblindete Schiddleggs, denen das Feuer die Augen versengt hatte, blieben still stehen.
Keiner an Bord sprach ein Wort, während Jiril den Rigger über die südliche Speichenstraße in Richtung des zentralen Versammlungsplatzes lenkte. Die Eingangstüren aller Häuser standen offen, Kleidungsstücke, Schuhe, Waffen und sogar Hausinventar waren auf den Straßen verstreut. Und in manch einem bis auf die Grundmauern niedergebrannten Haus oder Stall erblickte Mira Dinge, die sie am liebsten sofort wieder vergessen hätte.
»Sieh nicht hin«, sagte Ben, als er die Tränen in den Augen des Mädchens bemerkte.
Mira wischte sich übers Gesicht und schüttelte fast schon mechanisch den Kopf. »Das kommt nur vom Rauch«, antwortete sie leise. »Nur vom …« Dann versagte ihr die Stimme.
»Das dort vorne dürfte wohl der Grund für die vielen Feuer sein«, bemerkte Jiril und deutete die Straße hinab, wo ein gewaltiger Krater neben dem Dorfplatz klaffte. In einem Umkreis von fünfzig Metern waren so gut
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