Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel
als echte Freundin erwiesen. Dass sich Claire ihrer Krankheit tapfer stellen würde, hatte er erwartet, hingegen hätte er nicht damit gerechnet, dass ein unangemeldeter Besuch seinerseits sie stören würde. Er irrte sich.
»Was tun Sie denn hier?«, war ihre erste Reaktion, als Justin ihn in ihr Zimmer ließ.
Sie trug eine eng anliegende, schwarze Stretchhose, ein schwarzes T-Shirt und verkrümmte sich wie eine Brezel in einer Yogaposition namens »Adler«.
»Claire?«, fragte Dr. Cohen. Den Bruchteil einer Sekunde hatte er das Gefühl, sie mit einer anderen Patientin verwechselt zu haben.
Sie holte tief Luft, hob die Hände über den Kopf und beugte sich vor, um das Gesicht über die Schienbeine zu bringen. Was Cohen am meisten verdutzte, war nicht ihre unglaubliche Beweglichkeit, sondern wie sie diese Kleider ausfüllte. Dies war nicht der ausgemergelte Körper, den er aus dem Krankenhaus entlassen hatte.
»Was machen Sie da?«, fragte er.
»Yoga. Sehen Sie das denn nicht? Ach, was soll’s. Ich hasse Yoga ohnehin.«
»Nein, ich meine nicht Yoga. Ich rede davon, dass Sie aussehen, als hätten sie fünf Pfund zugelegt. Sind Sie geschwollen? Oder aufgedunsen?« Er ergriff eine leere Snickers -Hülle von ihrem Nachttisch und spähte in den Abfalleimer. Darin befanden sich zwei Twinkie -Hüllen.
»Nein, ich bin nicht aufgedunsen. Ich versuche lediglich, ein wenig von dem Gewicht zurückzuerlangen, das ich durch diesen Fraß im Krankenhaus verloren habe.«
Dr. Cohen wusste, dass sich Krebszellen zehn Mal schneller vermehrten als normale Zellen und dafür alle verfügbare Energie aufsogen. Könnte man die Krebszellen aushungern, ohne den Körper dabei verhungern zu lassen, wäre es vorstellbar, den Kampf zu gewinnen, aber so funktionierte es eben nicht. Die Krebszellen entzogen dem Körper die Nährstoffe und ließen für das Opfer nichts übrig, von dem es leben konnte. Und dennoch sah er vor sich eine Patientin, die Gewicht zulegte.
»Und Sie machen es damit?«, fragte er und hielt die Snickers -Hülle hoch.
»Ich fühle mich blendend«, erwiderte Claire nur.
War dies ein Zuckerhoch?
»Na ja, wenn Sie schon bleiben wollen, dann kommen Sie mal mit – ich mache Ihnen Frühstück«, sagte Claire, ergriff ein kleines, weißes Handtuch mit Monogramm vom Stuhl und wischte sich damit den Schweiß aus dem Gesicht. Wortlos folgte Cohen ihr in die Küche. Er hatte keinen Hunger, dennoch konnte er sich das nicht entgehen lassen. Eine Krebspatientin in ihrem Stadium, die kochte, stellte einen völligen Widerspruch dar. So etwas geschah einfach nicht. In den vierzig Jahren seiner Praxis war ihm noch nie etwas Vergleichbares untergekommen.
»Diese verdammte Haushälterin hat immer noch frei, deshalb muss ich mir meine Eier selber zubereiten«, sagte Claire, während sie eine Bratpfanne unter der Arbeitsplatte hervorholte. »Reichen Sie mir mal die Butter?«
Justin und Madeline saßen schweigend an der Kücheninsel. Cohen konnte die Augen nicht von Claire lösen. Er erwiderte nichts, sondern griff in den Kühlschrank, suchte die Butter und gab sie ihr.
»Was nehmen Sie ein, Claire?«, wollte er schließlich wissen.
»Nichts.«
»Sind es Haifischknorpel? Vitamine? Kräuter? Ich weiß, dass Sie irgendetwas tun. Seegurken ... sind es Seegurken?«
»Nein, nichts dergleichen«, entgegnete sie.
»Also, ich will ehrlich mit Ihnen sein, Claire. Alle Krebspatienten haben auch gute Tage, aber Ihnen scheint es deutlich besser zu gehen als den meisten.«
Er beobachtete, wie sie ein Spiegelei mit dem Geschick einer Imbissköchin auf einen Teller beförderte, den sie ihm reichte.
»Nein, danke, mich erwarten heute Morgen noch Patienten. Ich wollte nur vorbeischauen, um nach Ihnen zu sehen, und ich bin froh, dass ich es getan habe. Können Sie heute bei mir in der Praxis vorbeikommen?«
»Heute? Nein. Heute gehe ich einkaufen.«
Die Szene mutete surreal an.
»Es ist wichtig, Claire. Ich muss einige Untersuchungen an Ihnen vornehmen. Ich muss sichergehen, dass alles in Ordnung ist. Das ist wirklich nicht normal.« Er holte sein Mobiltelefon hervor, um bei sich in der Praxis anzurufen.
»Hier Dr. Cohen. Ich brauche einen Termin für Claire Cummings, heute. Wann können wir sie reinnehmen? Egal, dann schaffen Sie Zeit dafür. Wie sieht es um elf aus? Gut, tragen Sie es ein. Er wird einfach warten müssen. Besser noch, sagen Sie ihm ab.« Er wandte sich Claire zu. »Ich erwarte Sie in einer Stunde. Sie können danach
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