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Das alte Königreich 01 - Sabriel

Titel: Das alte Königreich 01 - Sabriel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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dar. Bei dem Gedanken an jene, die eine solche Tür benutzten, lief Sabriel ein kalter Schauder über den Rücken, und ihre Hände zitterten.
    Sie blickte auf und sah Oberst Horyse auf ihre langen bleichen Hände schauen, unter denen das schwere Papier der Karte sich auf seltsame Weise bewegte. Mit größter Willenskraft unterband sie es.
    »Ich habe eine Tochter, die fast in Ihrem Alter ist«, sagte er leise. »Sie ist in Corvere bei meiner Frau. Ich würde sie nicht ins Alte Königreich lassen.«
    Sabriel schaute ihn fest an. Ihre Augen hatten jetzt nicht mehr den unsicheren und geistesabwesenden Blick einer Halbwüchsigen.
    »Ich bin nur äußerlich achtzehn«, murmelte sie und fuhr fast wehmütig über ihre Brust. »Schon mit zwölf durchschritt ich das Reich des Todes. Mit vierzehn begegnete ich einem Rastenden des Fünften Tores und verbannte ihn hinter das Neunte. Als ich sechzehn war, pirschte ich mich an einen Mordicanten* heran, der sich der Schule näherte, und band ihn. Es war ein geschwächter Mordicant, trotzdem… vor einem Jahr habe ich die letzte Seite vom Buch der Toten gelesen. Ich fühle mich nicht mehr jung.«
     Ein Mordicant ist ein von einem Nekromanten geschaffenes Wesen aus getrockneter Sumpferde und menschlichem Blut, das mit Freier Magie und einem toten Geist ausgestattet ist.
    »Das tut mir Leid«, sagte der Oberst. Dann – beinahe so, als überrasche es ihn selbst – fügte er hinzu: »Ich wünschte, Sie besäßen ein wenig von dem Übermut, von dem meine Tochter mehr als genug hat. Sie nimmt das Leben leicht und muss keine Verantwortung tragen. Aber das wünsche ich Ihnen natürlich nicht, falls es Sie bei Ihrer bevorstehenden Aufgabe schwächt. Sie haben einen anderen Pfad gewählt.«
    »›Wählt der Schreitende den Pfad oder der Pfad den Schreitenden?‹«, zitierte Sabriel. Der Widerhall von Chartermagie haftete auf ihrer Zunge wie ein aufdringliches Gewürz. Diese Worte waren die Widmung in ihrem Almanach und zugleich die Schlussworte auf der letzten Seite im Buch der Toten.
    »Das habe ich schon einmal gehört«, bemerkte Horyse. »Was bedeutet es?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sabriel.
    »Es enthält Macht, wenn Sie es sagen«, fügte der Oberst bedächtig hinzu. Er schluckte mit offenem Mund, als hinge der Geschmack der Charterzeichen noch in der Luft. »Wenn ich diese Worte spreche, bedeuten sie nichts und bleiben bloß… Worte.«
    »Ich kann es nicht erklären.« Sabriel zuckte die Schultern und bemühte sich um ein Lächeln. »Aber ich kenne andere Sprüche, die ich im Moment für wichtiger halte, zum Beispiel: ›Reisender, folge dem Morgenlicht, doch den Schatten der Nacht folge nicht.‹ Ich muss mich auf den Weg machen.«
    Horyse lächelte über den alten Reim, der bei Großmüttern und Kindermädchen so beliebt war, aber es war ein oberflächliches Lächeln. Sein Blick glitt von Sabriel ab. Sie wusste, dass er sich fragte, ob er es ihr nicht doch verwehren sollte, die Mauer zu durchqueren. Dann seufzte er. Es war das gereizte Seufzen eines Mannes, der sich auf Grund mangelnder Alternativen gezwungen sieht, etwas zu tun, das ihm widerstrebt.
    »Ihre Papiere sind in Ordnung.« Er blickte sie wieder an. »Und Sie sind Abhorsens Tochter. Ich habe keine Wahl, als Sie passieren zu lassen, aber mein Gefühl sagt mir, dass ich Sie einer schrecklichen Gefahr aussetze. Dabei kann ich Ihnen nicht einmal ein paar Männer zum Schutz mitgeben, da wir da drüben momentan bereits fünf Patrouillen eingesetzt haben.«
    »Ich hatte keinen Begleitschutz erwartet«, entgegnete Sabriel wahrheitsgemäß; trotzdem empfand sie seltsamerweise eine Spur von Bedauern. Ein Trupp Soldaten wäre beruhigend gewesen. Die Furcht, sich allein in ein seltsames und gefährliches Land begeben zu müssen – auch wenn es ihr Heimatland war –, schwelte in ihr und wurde nur knapp von ihrer Erregung übertrumpft. Sie durfte sich von ihren Ängsten nicht unterkriegen lassen, auch wenn sie ständig an ihren Vater denken musste, der sich in Gefahr befand, gefangen und allein im eisigen Wasser des Todes…
    »Nun denn«, murmelte Horyse. Dann brüllte er: »Sergeant!«
    Ein behelmter Kopf erschien an der Tür. Sabriel erkannte, dass zwei Soldaten auf den Stufen zum Graben Posten gestanden hatten. Sie fragte sich, ob sie wohl etwas von ihrem Gespräch mitbekommen hatten.
    »Stellt eine Eskorte zum Tor zusammen«, befahl Horyse. »Miss Abhorsen wird sich ins Alte Königreich begeben. Und wenn du,

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