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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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deiner Mutter sagen«, murmelte Kirrith, die an der Tür stehen geblieben war. Ihre Stimme klang gedämpft. »Arielle war meine kleine Schwester, und ich hatte sie sehr lieb. Aber sie war ein wenig seltsam, wenn du weißt, was ich meine, und geriet oft in Schwierigkeiten. Das war nicht leicht für mich, denn ich war Hüterin und musste schon damals für Zucht und Ordnung sorgen. Vielleicht habe ich dir nicht gezeigt, was ich für dich empfinde. Was ich sagen will… ich habe deine Mutter geliebt, und dich liebe ich auch.«
    »Ich weiß, Tantchen«, erwiderte Lirael und sah nicht einmal hin, als sie ihren Mantel zurück in die Truhe warf. Noch vor einem Jahr hätte sie viel dafür gegeben, diese Worte zu hören und zu fühlen, dass sie dazugehörte. Jetzt war es zu spät. Sie verließ den Gletscher und ging fort wie schon ihre Mutter vor vielen Jahren, als sie ihr Töchterchen scheinbar gleichgültig allein gelassen hatte.
    Doch das alles gehört der Vergangenheit an, dachte Lirael. Ich kann neu anfangen. Ich muss nicht wissen, warum meine Mutter damals fortging, und auch nicht, wer mein Vater war. Ich muss es nicht wissen.
    Ich muss es nicht wissen!
    Dann wandten ihre Gedanken sich dem
Buch des Erinnerns und Vergessens
im Beutel an ihrer Seite zu sowie der Panflöte und dem Dunkelspiegel in ihren Wamstaschen.
    Nein, sie musste nicht wissen, was früher geschehen war. Ihrer Blindheit gegenüber der Zukunft wegen war sie stets allein unter den Clayr gewesen. Nun aber war sie noch auf andere Weise allein. In einer perversen Umkehrung all ihrer Hoffnungen und Träume war ihr das genaue Gegenteil von dem zuteil geworden, was sie sich stets von Herzen gewünscht hatte.
    Denn mit dem Dunkelspiegel und ihrem neuen Wissen konnte Lirael in die Vergangenheit sehen.

     

31
    EINE STIMME IN DEN BÄUMEN
     
    Keine hundert Meter vom Waldrand entfernt, genau dort, wo er vom Pferd gefallen war, lag Prinz Sameth wie ein Toter am Boden. Ein Bein war mit getrocknetem Blut verkrustet, und auf den grünen Blättern der Sträucher rundum zeichneten sich schwarzrote Spritzer ab. Sams Atem ging so schwach, dass er kaum wahrzunehmen war.
    Sprosse, die sich als weniger neurotisch als erwartet erwies, weidete ruhig in der Nähe. Hin und wieder zuckten ihre Ohren, und sie hob den Kopf, doch den ganzen langen Tag störte nichts ihr zufriedenes Kauen.
    Als die Schatten der Bäume allmählich länger wurden, kam eine frische Brise auf und machte die Hitze des Spätfrühlingstages erträglicher. Der Wind wehte durch Bäume und Büsche und lud Blätter, kleine Zweige, Spinnennetze, leere Käferpanzer und Gras auf Sam ab.
    Ein Grashalm verfing sich unter seiner Nase und brachte ihn zum Niesen.
    Er wachte auf und dachte zuerst, er habe einen Kater von unmäßigem Trinken. Sein Mund war wie ausgedörrt, und er nahm den üblen Geruch des eigenen Atems wahr. Ihm dröhnte der Schädel, und sein Bein schmerzte schier unerträglich.
    Er öffnete den Mund, um zu rufen, doch als das trockene Krächzen über seine Lippen kam, erinnerte er sich, was geschehen war.
    Er hatte zwei Konstabler getötet. Männer, die nur ihre Pflicht tun wollten. Männer, die Frauen und Familie hatten. Eltern, Brüder, Schwestern, Kinder. Sie hatten am Morgen ihr Zuhause verlassen und nicht mit ihrem plötzlichen Tod gerechnet. Vielleicht warteten ihre Frauen jetzt mit dem Abendessen auf sie.
    Nein, dachte Sameth, während er sich aufstützte und düster auf das rote Licht der untergehenden Sonne starrte, das durch die Bäume drang. Die Männer waren am frühen Morgen gestorben. Ihre Frauen würden inzwischen wissen, dass sie nie mehr nach Hause kamen.
    Mühsam gelang es Sam, sich weiter aufzurichten. Er bürstete den Schmutz von seiner Kleidung. Auch sein Schuldgefühl musste er abstreifen, das verlangte sein Überlebenswille.
    Zuerst einmal musste er das Hosenbein aufschneiden, sich die Wunde ansehen und sie verbinden, da er sich für einen neuerlichen Heilzauber zu schwach fühlte. Danach musste er sich irgendwie zur getreuen Sprosse schleppen und tiefer in den Wald reiten. Es wunderte Sam, dass die hiesigen Konstabler ihn noch nicht aufgespürt hatten. Vielleicht hatte er eine verwirrendere Spur zurückgelassen, als er glaubte, oder sie warteten auf Verstärkung, ehe sie aufbrachen, um den vermeintlichen mörderischen Nekromanten zu suchen.
    Falls die Konstabler ihn jetzt fanden – oder, schlimmer noch, die Gardisten –, würde er keine andere Wahl haben, als ihnen zu sagen,

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