Das alte Königreich 02 - Lirael
Fragwürdige Hündin fest, wedelte dabei aber dermaßen heftig mit dem Schwanz, dass der Ernst dieser Mitteilung gar nicht so zum Tragen kam.
»Das sehe ich auch!«, fauchte Lirael. Sie war vor allem deshalb gereizt, weil sie bereits zwei Stunden in ihrer Schneeotterhaut steckte. Die Haut wurde allmählich unbequem und so unangenehm wie verschwitzte Kleidung, die überall an den falschen Körperteilen klebt. Und es gab nichts, was Lirael von dieser tristen Wahrheit ablenkte, denn das Loch am Ende der Hauptwendeltreppe hatte sich als ausgesprochen langweilig erwiesen. Nach ein paar Metern war das Loch zwar weiter geworden, ansonsten aber war es nur im Zickzack verlaufen, vor und zurück, ohne zu irgendwelchen interessanten Abbiegungen, Nischen oder Türen zu führen. Jetzt endete es vor einer eingestürzten Eiswand, die Lirael und der Hündin den Weg versperrte.
»Es gibt keinen Grund, so ärgerlich zu werden, Herrin«, rügte die Hündin. »Außerdem gibt es einen Weg, der darüber führt. Der Gletscher ist zwar durchgedrungen, aber irgendwann einmal hat ein Bohrwurm hier gute Arbeit geleistet. Wenn wir hinaufklettern, können wir das Loch wahrscheinlich benutzen, um zur anderen Seite zu gelangen.«
»Tut mir Leid«, entschuldigte Lirael sich seufzend und zuckte ihre Otterschultern – eine Bewegung, die ihren ganzen Körper durchlief. »Worauf wartest du dann?«
»Es ist bald Zeit fürs Dinner«, antwortete die Hündin. »Man wird dich vermissen.«
»Du meinst,
du
wirst vermissen, was ich für dich
stehlen
könnte«, brummte Lirael. »Niemand wird mich vermissen. Und du musst nicht immerzu fressen!«
»Aber ich tu’s gern!«, protestierte die Hündin und wich geschickt den Eisbrocken aus, die vom Gletscher heruntergestürzt waren und jetzt verhinderten, dass sie schneller vorankamen.
»Konzentriere dich auf den Weg«, sagte Lirael. »Benutz deine berühmte Spürnase.«
»Aye, aye, Käpt’n«, murmelte die Hündin resigniert und machte sich daran, die aufeinander gestürzten Eisblöcke hinaufzuklettern. Ihre Krallen hinterließen tiefe Einschnitte. »Der Weg des Bohrwurms ist direkt oben.«
Lirael glitt hinter der Hündin die Eisblöcke hinauf und genoss die flüssigen Bewegungen des Schneeotters. Wenn sie die Charterhaut wieder ausgezogen hatte, würde die Erinnerung daran ihr eine Zeit lang das Gefühl geben, schrecklich unbeholfen zu sein.
Die Fragwürdige Hündin tauchte bereits in das von dem Wurm geschaffene Loch ein, das vollkommen zylindrisch mit einem Durchmesser von drei Fuß geradewegs durch die Eisbarriere führte. Es war das Loch eines mittelgroßen Bohrwurms. Die Löcher von größeren Würmern besaßen einen Durchmesser von mehr als zehn Fuß. Doch die Würmer gehörten einer nahezu ausgestorbenen Spezies an, und Lirael war vermutlich eine der wenigen Bewohner des Clayr-Gletschers, die je ein solches Wesen gesehen hatten.
Tatsächlich hatte sie sogar zwei gesehen, allerdings in einem Abstand von mehreren Jahren. Beide Male hatte zuvor die Hündin die Würmer aufgespürt, so dass sie Zeit gehabt hatten, ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Würmer waren nicht gefährlich, reagierten jedoch sehr langsam, und ihre rotierenden Mehrfachkiefer zerkauten alles, was sich in ihrem Weg befand: Eis, Felsen – auch Menschen und Hunde, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten.
Die Hündin glitt kurz aus, rutschte aber nicht zurück, wie es einem echten Hund wahrscheinlich passiert wäre. Lirael fiel auf, dass die Krallen ihrer Hundefreundin zur doppelten Länge gewachsen waren, so dass sie sich auf dem Eis halten konnte. Es bestand kein Zweifel, dass die Hündin sowohl Charter- wie auch Freier Magie entsprungen war. Doch darüber dachte Lirael nicht gern nach. Was immer die Hündin auch sein mochte, sie war ihre einzige wahre Freundin und hatte in den vergangenen viereinhalb Jahren zahllose Male ihre Treue und Ergebenheit bewiesen.
Doch trotz ihres magischen Ursprungs roch die Hündin nur allzu sehr wie ein richtiger Hund, vor allem, wenn sie nass war wie jetzt, als Liraels gerümpfte Otternase sich fast gegen die Hinterbeine der Hündin presste, während sie ihr durchs Wurmloch folgte. Glücklicherweise war der Tunnel nicht lang, und Lirael vergaß den Hundegestank, als sie auf der anderen Seite das Glühen einer durch Charter erhellten Decke sah und so etwas wie eine geflieste Wand erblickte.
»Das ist ein sehr alter Raum«, stellte die Hündin fest, als sie beide aus dem Wurmloch auf die
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