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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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Lirael, als sie die versengten Enden ihres Haares betrachtete, wo es unter ihrem Kopftuch hervorlugte. »Das fällt Tante Kirrith bestimmt auf! Am besten sage ich ihr, dass es passiert ist, als ich mich zu tief über eine Kerze beugte… wo wir gerade von Kirrith sprechen, wir sollten jetzt lieber zurückkehren.«
    »Noch nicht«, widersprach die Hündin. »Nicht nach all der Mühe. Außerdem weisen die Lichter einen Weg. Schau, das muss er sein. Liraels Pfad!«
    Lirael setzte sich auf und blickte in die von der Hündin gewiesene Richtung, die in ihrer typischen Pose dasaß: eine Vorderpfote erhoben und die Schnauze nach vorn gestreckt. Tatsächlich, da war ein Pfad winziger blinkender Charterlichter, der den Sims entlang weiterführte zu der Stelle, wo die Kluft sich zu noch bedrohlicherer Dunkelheit verengte.
    »Wir sollten wirklich umkehren«, sagte Lirael halbherzig. Der Lichterpfad winkte. Die Sendlinge hatten sie durchgelassen. Es musste am anderen Ende irgendetwas geben, das zu erreichen sich lohnte. Vielleicht sogar etwas, das mir helfen wird, die Sicht zu bekommen, dachte Lirael. Sie kam einfach nicht gegen diese Sehnsucht an, diese winzige Hoffnung, die immer noch in ihrem Herzen lebte. All die Jahre des Suchens in der Bibliothek hatten ihr nicht geholfen. Vielleicht fand sie hier, im uralten Herzen der Clayr-Domäne, was sie suchte.
    »Dann komm«, sagte Lirael und stemmte sich stöhnend hoch. Sie roch ihr versengtes Haar und sah ihre blauen Flecken. »Worauf wartest du?«
    »Geh du voraus«, bat die Hündin. »Meine Nase schmerzt noch von den brennenden Türhütern deiner dummen Verwandten.«
    Der Lichterpfad führte weiter am Sims entlang. Die Kluft wurde schmäler, die Felswände rückten zusammen, bis Lirael beide Seiten mit den Händen berühren konnte – was sie aber rasch unterließ, als sie bemerkte, dass das Leuchten von einem feuchten Pilzbefall herrührte, der ihre Fingerspitzen glühen und nach fauligem Kohl stinken ließ.
    Als der Weg schmäler wurde, führte er auch tiefer in den Berg, und kühle Feuchtigkeit vertrieb die letzte Hitze aus Liraels glühend heißem Gesicht. Sie vernahm ein tiefes Donnern, das den Boden unter ihren Füßen vibrieren ließ. Das Geräusch wurde lauter, je weiter sie kamen, bis Lirael schließlich erkannte, was es war: das Tosen gewaltiger Wassermassen.
    »Wir müssen uns in der Nähe eines unterirdischen Flusses befinden.« Sie hob die Stimme, um das immer lautere Rauschen zu übertönen. Wie die meisten Clayr konnte sie nicht richtig schwimmen, und ihre Erfahrung mit Flüssen beschränkte sich auf das Furcht erregende Schmelzwasser, das jedes Frühjahr von dem Gletscher toste.
    »Wir haben ihn fast erreicht«, stellte die Hündin plötzlich fest, die im Glühen des Pfades weiter sehen konnte als Lirael. »Wie der Dichter es beschrieb:
     
    Aus tiefem Fels der Ratterlin entspringt
    Und wird zum Fluss, der schäumend rinnt;
    Voll Kraft und Wildheit ist sein Lauf,
    Des Reiches Feinde hält er auf;
    Zum breiten Strom er schließlich wird,
    Bis er im Delta sich verirrt!
    Hm, ich glaube, ich habe da eine Zeile vergessen. Lass mich überlegen. ›Zum breiten Strom…‹«
    »Hier entspringt der Ratterlin?«, unterbrach Lirael die Hündin. »Ich dachte, es wäre nur Schmelzwasser. Ich hatte ja keine Ahnung, dass er eine Quelle hat.«
    »O doch«, antwortete die Hündin. »Eine sehr alte Quelle. Im Herzen des Berges in der tiefsten Finsternis. Halt!«
    Lirael blieb stehen. Instinktiv packte sie die Hautfalten am Hals der Hündin.
    Zuerst verstand sie nicht, weshalb die Hündin gehalten hatte, bis diese ein paar vorsichtige Schritte vorwärts machte. Das Tosen des Flusses wurde zu einem Donnern, und kalte Gischt schlug Lirael ins Gesicht.
    Sie hatten den Fluss erreicht. Der Pfad vor ihnen führte auf eine schmale, rutschige Brücke aus nassem Stein, die etwa zwanzig Schritte lang war und vor einer weiteren Tür endete. Die Brücke hatte kein Geländer und war nicht einmal zwei Fuß breit. Dass eine so gefährlich schmale Brücke über reißendes Wasser führte, war ein sicheres Zeichen, dass sie als Barriere gegen die Toten errichtet war. Kein Toter wäre im Stande, diese Brücke zu überqueren.
    Lirael blickte auf die Brücke, auf die Tür, dann hinunter zum dunklen, tobenden Wasser und empfand Furcht, gepaart mit einer schrecklichen Faszination. Der rasend schnelle Fluss des Wassers und das pausenlose Tosen wirkten hypnotisierend. Aber schließlich gelang es ihr, die

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