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Das alte Königreich 02 - Lirael

Titel: Das alte Königreich 02 - Lirael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garth Nix
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»Dunkelspiegel«. Lirael hatte gelesen – zumindest teilweise –, wie er benutzt werden konnte. Doch in diesem Raum war der Dunkelspiegel nicht zu gebrauchen, ebenso wenig in einem anderen Teil der Welt des Lebens. Er konnte nur im Tod eingesetzt werden, und Lirael hatte nicht die Absicht, sich dorthin zu begeben, obwohl das Buch ihr angeblich zeigen konnte, wie sie zurückkam. Der Tod war das Gebiet der Abhorsen, nicht das der Clayr, auch wenn die ungewöhnliche Anwendung des Dunkelspiegels vielleicht mit der Gabe der Sicht verwandt sein mochte, wie die Clayr sie besaßen.
    Lirael klappte den Dunkelspiegel zu und legte ihn auf den Tisch, doch ihre Finger verweilten darauf. Eine volle Minute überlegte sie. Dann nahm sie den Spiegel und schob ihn in ihre linke Wamstasche zu der Federspitze, der gewachsten Schnur und einem Bleistiftstummel. Nach kurzem Zögern griff sie auch nach der Panflöte und steckte sie in ihre rechte Wamstasche zu der mechanischen Maus. Schließlich nahm sie das
Buch des Erinnerns und Vergessens
und verbarg es vorn unter dem Wams.
    Sie ging zur Fragwürdigen Hündin zurück. Es war Zeit, dass sie beide sich ernsthaft darüber unterhielten, was hier eigentlich vorging. Das Buch, der Dunkelspiegel und die Panflöte hatten hier tausend Jahre oder länger gelegen und in der Dunkelheit auf eine gewartet, von der die Clayr dieser längst vergangenen Epoche gewusst hatten, dass sie kommen würde.
    Auf eine namens Lirael.
    Auf
sie.

     

23
    EINE UNANGENEHME JAHRESZEIT
     
    Prinz Sameth stand fröstelnd auf dem schmalen Wehrgang des zweithöchsten Schlossturms. Er trug seinen schwersten Pelzumhang, trotzdem schnitt der Wind hindurch. Doch er wollte keinen Charterzauber für Wärme wirken; eher wünschte er sich, er würde sich so sehr erkälten, dass er den lästigen Pflichten entgehen könnte, die Ellimere ihm aufgezwungen hatte.
    Sam war zum Wehrgang hinaufgestiegen, weil er die Hoffnung hegte, seinen Vater oder seine Mutter heimkehren zu sehen; außerdem wollte er Ellimere und allen anderen, die sein Leben zu bestimmen versuchten, aus dem Weg gehen.
    Sam vermisste seine Eltern – vor allem, weil sie ihn von Ellimeres Tyrannei befreien könnten. Doch seine Mutter Sabriel war ständig außerhalb von Belisaere unterwegs und flog ihren rot-goldenen Papiersegler von einem Unruheherd zum nächsten. Es war ein schlimmer Winter, der viele Opfer forderte; obendrein waren Heerscharen von Kreaturen Freier Magie unterwegs. Sam fröstelte jedes Mal innerlich, wenn er davon hörte. Er wusste, dass aller Augen auf ihm ruhten und dass er das
Buch der Toten
studieren und sich darauf vorbereiten sollte, seine Mutter zu unterstützen. Trotzdem verharrte er auf dem Wehrgang und blickte weiterhin über die eisbedeckten Dächer der Stadt und durch den aufsteigenden Rauch zahlloser behaglicher Feuer.
    Er hatte das Buch noch kein einziges Mal aufgeschlagen, seit Ellimere es ihm gegeben hatte. Der grün-silberne Band war sicher in einem Schränkchen in seiner Werkstatt eingeschlossen. Sam dachte jeden Tag an das Buch und betrachtete es sogar eingehend, konnte sich aber nicht überwinden, darin zu lesen. Stattdessen schrieb er eine Erklärung nach der anderen, in der er seine Gefühle und Ängste zu beschreiben versuchte. Briefe an Sabriel. Briefe an Touchstone. Briefe an beide Elternteile. Alle endeten im Feuer.
    »Ich werde es ihnen einfach sagen«, murmelte Sam in den Wind. Er sprach deshalb so leise, damit der Wachposten auf der gegenüberliegenden Turmseite ihn nicht hören konnte. Die Wachen hielten ihn ohnehin schon für ein misslungenes Exemplar von einem Prinzen. Da wollte er nicht auch noch, dass sie in ihm einen Verrückten sahen.
    Doch nicht nur seine Mutter, auch sein Vater war meist unterwegs: Kaum war Touchstone aus Estwael zurückgekehrt, musste er sich wieder auf die Reise machen und zum Fort von Barhedrin reiten, unmittelbar nördlich der Mauer. Er hatte erfahren, dass die Ancelstierrer einigen Gruppen von Flüchtlingen aus dem Süden gestatteten, die Mauer zu überqueren und sich im Alten Königreich niederzulassen – wo sie von den Kreaturen oder den Wilden getötet wurden, die das Grenzland heimsuchten. Touchstone war diesen Berichten nachgegangen, um festzustellen, worauf die Ancelstierrer aus waren; außerdem wollte er jene Südlinge retten, die bisher überlebt hatten.
    »Närrische Ancelstierrer«, brummte Sam und trat gegen die Brüstung. Dabei glitt sein anderer Fuß auf dem eisigen Stein aus.

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