Das alte Königreich 03 - Abhorsen
taten es ihr gleich, so dass auch der menschliche Ring enger wurde. Dann taten sie noch einen Schritt vor und noch einen, als der Lichtring sich weiter zusammenzog, bis er die Kugel selbst zusammenschnürte. Dem wundervollen Lied der Glocken folgten sie selbst wie in Trance. Ein Gefühl des Triumphs und der Erleichterung stieg in Lirael auf, nur gemindert durch die Furcht vor dem Schwert auf ihrer Schulter. Bald würde sie es führen und viel zu bald erneut den Weg zum Neunten Tor nehmen müssen, von wo es keine Wiederkehr mehr gab.
Dann hielt der Bannring an. Die Glocken verloren an Kraft, und die Schwinger verhielten mitten im Schritt. Lirael zuckte zusammen und spürte einen Gegenschlag der Macht, als wäre sie vor eine Mauer gerannt.
»Nein«, sagte Orannis. Seine Stimme war leise und ohne jede Regung.
Der Bannring erzitterte, als Orannis sprach, und begann sich wieder auszudehnen, als die Kugel wuchs. Die Feuerzungen erschienen wieder, zahlreicher als zuvor.
Die Glocken läuteten noch, doch die Menschen wurden zurückgezwungen. In ihren Gesichtern spiegelten sich Gefühle wider, die von völliger Verzweiflung und schwindender Entschlossenheit kündeten. Der Bannring wurde dünner und blasser, je mehr er sich unter der zunehmenden Macht Orannis’ dehnte.
»Zu lange schon war ich in meinem metallenen Grab«, sprach Orannis. »Zu lange schon habe ich die Beleidigung des lebenden, kriechenden Gewürms ertragen. Ich bin der Zerstörer – und alles wird zerstört!«
Mit dem letzten Wort loderten die Flammen nach außen und packten den Bannring mit tausend kleinen dunklen Feuerfingern. Sie zogen und zerrten wütend daran, um ihn zu zerstören.
Lirael beobachtete es wie aus großer Entfernung. Jetzt war alles verloren. Es gab nichts mehr, was sie tun oder auch nur versuchen konnten. Sie hatte den Anfang gesehen, hatte gesehen, wie Orannis gebannt worden war. Damals hatten die Sieben Erfolg gehabt. Jetzt hatten sie versagt. Lirael hatte es gewusst und akzeptiert, dass sie dabei sterben würde, und es war ihr als ein fairer Preis erschienen für die Verbannung Orannis’ und die Rettung alles dessen, was sie liebte und kannte.
Jetzt würden sie nur als die ersten von Myriaden Leben sterben, und in der Asche der verbrannten Welt würden vor Orannis’ Augen nur noch Tote wandeln.
Dann hörte sie in ihrer tiefsten Verzweiflung plötzlich Sam sprechen und sah ein grelles Licht neben ihm aufleuchten, eine große Gestalt aus weiß glühender Lohe, die nur verschwommene menschliche Form besaß.
»Du bist frei, Mogget!«, rief Sam, während er ein rotes Halsband in die Höhe hielt. »Wähle gut!«
Die Feuergestalt wurde größer. Sie drehte sich zu Sabriel um, und ihr Kopf senkte sich herab, als wollte sie zubeißen. Sabriel blickte zu ihr hoch und zögerte. Dann glitt sie zu Lirael, welche die Hitze spüren konnte wie auch den Schock Freier Magie, die sich mit dem lungenzerfressenden Gestank des Zerstörers vermischte.
»Bitte, Mogget«, hauchte Lirael so leise, dass niemand sie hören konnte.
Doch die weiße Gestalt hörte sie. Sie hielt inne, wandte sich dem Zerstörer zu und verlieh seiner Feuergestalt eine menschlichere Form – eine Gestalt, deren Haut heller strahlte als ein feuriger Stern.
»Ich bin Yrael«, sagte sie und hob die Hand. Ein Band aus silbernem Feuer strömte in den schwindenden Bannring. »Auch ich sage dir den Kampf an.«
Der Bannring verengte sich wieder, und alle bewegten sich wie von selbst vorwärts. Dieses Mal blieb der Ring nicht stehen, sondern verengte sich immer mehr, drückte die Flammen aus, und die Kugel wurde schwärzer. Dann nahm er einen Silberschein an, das Silber der Hemisphären, in denen Orannis so lange gefangen war.
Lirael trat vor, den Blick auf die schrumpfende Kugel gerichtet. Undeutlich war ihr bewusst, dass Astarael noch in ihrer Hand läutete, und noch verschwommener drang ihr ins Bewusstsein, dass Yrael sein Lied angestimmt hatte, das mit den Glocken und dem Gebell perfekt harmonierte.
Die Kugel zog sich weiter zusammen, und das Silber breitete sich auf ihr aus wie Quecksilber in Wasser. Sobald die ganze Oberfläche silbern war, war der Bann vollkommen, und Lirael musste den entscheidenden Schwerthieb führen. Nicht die Sieben hatten ihn diesmal gebannt, sondern die Acht. Und Lirael wurde klar, dass Mogget – Yrael – kein anderer sein konnte als der Achte Scheiner, der einst selbst von den Sieben gebannt worden war.
Glocken läuteten, Yrael sang, die
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