Das alte Königreich 03 - Abhorsen
her und knurrte tief in der Kehle.
»Was ist passiert?«, fragte Sam. »Bist du verletzt?«
»Nur ein Kratzer«, erklärte Lirael und hielt ihr linkes Handgelenk hoch, wobei sie das Gesicht verzog. »Eine abscheuliche kleine Kreatur von jenseits des Fünften Tores hat versucht, mich in den Arm zu beißen. Aber sie kam nicht durch den Panzer.«
»Was hast du mit ihr gemacht?«, fragte Sam. Die Hündin flitzte immer noch umher, als erwartete sie, dass plötzlich die Tote Kreatur vor ihnen auftauchte.
»Die Hündin hat sie entzweigebissen«, berichtete Lirael und zwang sich, tief und langsam zu atmen. »Das hat die Kreatur allerdings nicht aufgehalten. Doch ich konnte sie schließlich zwingen, mir zu gehorchen. Sie ist auf dem Weg zum Neunten Tor und wird nicht zurückkehren.«
»Du bist jetzt wahrhaftig die Abhorsen-Nachfolgerin«, sagte Sam bewundernd.
»Ja, ich glaube«, sagte Lirael bedächtig. Sie fühlte sich eins mit ihrem Geschick, seit sie sich im Totenreich selbst so bezeichnet hatte. Aber sie hatte dabei auch etwas verloren. Es war eine Sache, im Haus das Glockenbandelier anzulegen, aber eine ganz andere, die Glocken im Totenreich tatsächlich zu benutzen. Ihr altes Leben erschien ihr nun fern und unwirklich, und sie wusste noch nicht, wie ihr neues Leben aussehen würde oder was sie war. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut – und das rührte nicht von dem schmelzenden Eis, dem Regen und dem Schlamm her.
»Ich rieche etwas«, sagte die Hündin.
Lirael blickte auf und erkannte, dass Sam voller Schlamm war und aus einer Kratzwunde am Handrücken blutete, was er allerdings noch nicht bemerkt zu haben schien.
»Was ist mit dir passiert?«, fragte sie scharf.
»Mogget ist wieder da«, erwiderte Sam. »Zumindest glaube ich, dass es Mogget ist. Er ist im Rucksack. Weil er zuerst so eine Art Albinozwerg war, hielt ich ihn für einen Feind…«
Er brach ab, als die Hündin an dem Rucksack zu schnüffeln begann. Eine weiße Pfote schnellte heraus, und die Hündin zuckte gerade rechtzeitig zurück, um ihre Nase vor Schaden zu bewahren. Sie setzte sich und runzelte verwundert die Stirn.
»Ja, es ist Mogget«, bestätigte sie. »Aber ich verstehe nicht…«
»Sie gab mir eine zweite Chance, wie sie es nennt«, sagte eine Stimme im Rucksack. »Das ist mehr, als ihr mir je gegeben habt.«
»Eine zweite Chance für was?«, knurrte die Hündin. »Wir haben keine Zeit für deine Spielchen! Weißt du, was vier Meilen von hier ausgegraben wird?«
Mogget streckte den Kopf aus dem Rucksack. Ranna bimmelte und brachte Lirael, Sam und auch die Hündin zum Gähnen.
»Ja, ich weiß, was am Ufer des Roten Sees ausgegraben wird!«, fauchte der kleine Kater. »Es war mir damals egal und es ist mir jetzt egal. Es ist der Zerstörer. Der Auflöser. Der Tilger…«
Mogget hielt inne, um Luft zu holen. Als er weitersprechen wollte, bellte die Hündin. Es war ein tiefes, machtvolles Bellen. Mogget kreischte, als wäre ihm jemand auf den Schwanz getreten, und verzog sich fauchend in seinen Rucksack.
»Sprich seinen Namen nicht aus«, befahl die Hündin. »Nicht im Zorn, und nicht, wenn wir ihm so nahe sind.«
Mogget schwieg. Lirael, Sam und die Hündin blickten auf den Rucksack.
»Wir müssen fort von hier«, seufzte Lirael und wischte sich die Regentropfen von der Stirn, bevor sie in ihre Augen rinnen konnten. »Aber zuerst muss ich über etwas Klarheit haben.«
Sie trat vor Sams Rucksack und beugte sich darüber, achtete jedoch darauf, dass sie außerhalb der Reichweite der Pfoten blieb.
»Mogget. Du bist noch immer daran gebunden, den Abhorsen zu dienen, nicht wahr?«
»Ja«, kam die mürrische Antwort. »Mein Pech.«
»Dann wirst du mir und den anderen zur Seite stehen, oder?«
Diesmal kam keine Antwort.
»Ich fange dir ein paar Fische«, warf Sam ein. »Wenn wir irgendwohin kommen, wo es Fische gibt.«
»Und ein paar Mäuse«, fügte Lirael hinzu. »Falls du Mäuse magst.«
Mäuse knabberten Bücher an. Sämtliche Bibliothekare hassten Mäuse, und Lirael war keine Ausnahme. Erfreut stellte sie fest, dass ihr in ihrem neuen Leben als Abhorsen die kostbaren Erinnerungen an ihr anderes Ich als Bibliothekarin geblieben waren. Sie hasste auch immer noch Silberfischchen.
»Es ist überflüssig, mit ihm zu verhandeln«, sagte die Hündin. »Er wird tun, was man ihm sagt.«
»Fische, wenn es welche gibt, und Mäuse und einen Vogel«, schlug Mogget vor. Er tauchte aus dem Rucksack auf, und seine kleine rosa Zunge
Weitere Kostenlose Bücher