Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
einem Weg hinunter. Meine linke Hand umfasste das Amulett, die Rechte lag an ihrem mittlerweile ständigem Platz, am Griff von Keiras Schwert. Wieder lullte mich das Lied des Baumes ein und nahm mir jedes Zeitgefühl. Ich riss mich förmlich mit aller Gewalt aus diesem magischen Fluss, der das Tal erfüllte und suchte erneut nach einem Weg hinunter. So einfach da hinunter zu springen war keine gute Idee. Es dauerte eine Weile, bis meine Augen die versteckte Treppe wahrnahmen. Sie war insofern versteckt, dass sie sich einfach zu perfekt ihrer Umgebung anpasste. Wirklich versteckt war sie nicht gewesen. Ich stand keine drei Meter von ihr entfernt. Sie schien aus dem Holz des Baumes zu sein, denn sie führte das Muster seiner Rinde weiter.
Es war wirklich eine gute Idee gewesen, die Treppe zu suchen. Als ich sie nun hinunterging, wurde mir erst richtig bewusst, wie weit oben alleine schon diese Wurzel gewesen war. Ich wollte gar nicht wirklich wissen, wie weit ich in den Himmel gestiegen war, um das Amulett zu holen. Acht oder fünf Meter waren es mindestens, bis meine Füße schließlich wieder das weiche saftige Grün berührten und ich erleichtert aufatmete. Die Treppe hatte kein Geländer, und ich sah mich gedanklich schon ausrutschen und den Vögeln Konkurrenz machen. Ich wandte mich wie von selbst nach rechts. Bei jedem normalen Baum wäre ich jetzt ungebremst gegen den Stamm gelaufen. Nicht bei diesem Baum. Dieser Baum hielt nicht nur in seinem Inneren Räume bereit, ein ganzes Netzwerk an Räumlichkeiten schien sich unter seinen Wurzeln zu erstrecken. Es war als träte ich in eine überdimensional große Höhle. Über mir erstreckte sich ein Dach aus Holz und Moos.
Ich folgte einem Gang, bis ich zu einem runden Raum kam, von dem wiederum weitere Gänge abzweigten. Ich folgte dem mittleren. Prompt kam ich nach nur wenigen Metern an eine erneute Abzweigung. Immer wieder gabelte sich mein Weg und immer wieder schien ich zu wissen, wo ich lang musste, auch wenn ich noch nicht einmal wusste, wohin ich ging. Es war beachtlich, wie hell es hier war, bedachte man, dass ich mich unterhalb eines Baumes befand. Mir schien es so, als strahlte der Baum selbst Licht ab, das durch sein Holz schimmerte und jeden Winkel erreichte. Es war, als hätte ich den Baum selbst betreten, als würde ich durch sein Holz laufen. Als wäre ich ein Teil von ihm.
Ich wanderte eine Ewigkeit durch dieses Labyrinth und dennoch fühlte ich nicht den spitzen Schmerz der Erschöpfung. Sämtliche Regeln schienen an diesem Ort nicht zu gelten. Also eigentlich ein passender Ort für meine Wenigkeit. Ich blieb unwillkürlich stehen, als sich vor mir eine Art Tür im Holz des Baumes abzeichnete. Sie war nicht groß. Für die Verhältnisse einer Tür war sie sogar winzig, aber sie reichte, um geradeso einzutreten, ohne sich den Kopf oder die Schultern anzuhauen. Ich schlüpfte in einer ungewöhnlich eleganten Bewegung durch die Tür und fand mich in einem komplett eingerichteten Zimmer wieder.
Es war unverkennbar das Zimmer der Alverras. Überall prangte der brüllende Löwenkopf. Es war ein großes Zimmer. Bestückt mit den feinsten Möbeln. Sie waren das Erste, was von der Anwesenheit von Menschen berichtete. Ein viel zu großes Bett stand in einem leicht abgetrennten Teil des Zimmers. Es war ein Himmelbett, wie ich feststellte, als ich um den hölzernen Sichtschutz herum ging. Auf ihm lag ein weinroter Überzug. Auf dem ebenfalls der brüllende Löwe verewigt war. Der Schrank auf der anderen Seite war randvoll mit Kleidungsstücken, die sämtliche Zeitepochen abdeckten. Ich hätte mir eine Mittelaltertracht anziehen können, genauso gut wie ein vielschichtiges Kleid der Renaissance. Meinen Kleidungsstil konnte ich noch nirgends erkennen. Ich war mir allerdings sicher, dass er eines Tages auch hier vorzufinden sein würde. Respektvoll schloss ich die schweren Schranktüren. Ich setzte mich auf das Bett und sog die Erinnerungen auf, die in diesem Raum in der Luft zu vibrieren schienen. Das hier war das Zimmer meiner Familie. Das Zimmer, das jeder Alverra aufgesucht hatte, wenn er dieses magische Tal besuchte.
Die plötzliche Müdigkeit, die mich überfiel, war überwältigend. Ich sackte in die großen Kissen, noch ehe ich es wirklich realisierte. Ich schlief so tief und traumlos, wie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Als ich erwachte, strahlte immer noch oder wieder, das merkwürdige Licht durch das ansonsten undurchlässige Holz. Eine weitere,
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