Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
Ich hievte die Tasche auf meine Schultern, wobei mein Ellbogen stark protestierte. Ich schleppte sie nach draußen zum Mustang und ließ sie mit einem dumpfen Aufprall auf die Rückbank fallen. Ich wollte gerade einsteigen, als mir etwas einfiel und ich zurück ins Haus rannte. Ich konnte den Zettel und den Brief von meinem Großvater nicht einfach herumliegen lassen. Ich steckte beides in meine Hosentasche, zusammen mit meinem Handy, das ich fast auf dem Nachttisch vergessen hätte.
Der Radiowecker zeigte halb sechs an. Ich hatte viel länger gebraucht, als ich gewollt hatte. Ich musste dringend los. Ich war mir sehr sicher, dass Keira mir nicht wirklich geglaubt hatte. Ich musste aufbrechen, solange es noch dunkel war. Das war zwar nicht ganz ungefährlich, aber besser, als mich von Keira zu verabschieden. Das würde ich, dachte ich, nicht hinbekommen. Seit zehn Jahren war sie alles, was ich an Familie hatte, und nun wollte ich ihr einfach so den Rücken zukehren. Verschwinden, wie mein Großvater es getan hatte. Dieser Gedanken hinterließ einen bitteren Geschmack in meinem Mund. Gegen meinen Willen verstand ich meinen Großvater etwas besser. Es war besser, geliebte Menschen zu verletzen, um sie so zu schützen, als sie gedankenlos der Gefahr auszusetzen.
Ich sprang auf den Fahrersitz, legte den ersten Gang ein und raste schon die Einfahrt hinunter. Mein Anwesen lag nun hinter mir, wie eine verlassene Geistervilla. Gerade als ich vor dem Tor stand und wartete, dass es sich öffnete, wurde die Beifahrertür aufgerissen. Im selben Moment landete eine zweite Reisetasche auf der Rückbank. Keira saß neben mir im Auto und sah mich vorwurfsvoll an.
»Kannst du mir mal sagen, wo du hin willst?«
Blöder Mist! Wieder war ich nicht schnell genug gewesen.
»Keira, steig aus.«
Ich hoffte, dass sie nur ein einziges Mal auf mich hören würde. Sie lachte angespannt.
»Das glaubst du doch wohl selber nicht?«
Ich stellte den Motor aus und sah meine Freundin flehend an.
»Keira, bitte...«
»Nein. Das kannst du vergessen. Du gehst nirgendwohin ohne mich. Ich wusste, dass du mir etwas vorgespielt hast. Du bist eine verdammt schlechte Lügnerin.«
Das war nicht ganz richtig. Ich konnte sehr gut lügen, nur bei ihr klappte das eigentlich so gut wie nie. Was ich ja leider Mal wieder bestätigt bekam.
»Keira, bitte. Ich muss mich wenigstens überzeugen, dass das Ganze wirklich nur ein schlechter Scherz ist.«
Ich sah sie flehend an. Ich hoffte, sie würde aussteigen.
»Ich weiß, deshalb bin ich ja hier.«
Sie sagte es so trocken, dass mir klar war, ich würde sie nicht von etwas Anderem überzeugen können. Aber so schnell wollte ich noch nicht nachgeben.
»Keira… das ist unnötig. Wirklich. Ich schaffe das schon.«
Jetzt sah sie mich missbilligend an.
»Ja sicher. Weil du ja auch so gut auf dich aufpassen kannst.«
Sie nickte zu meinem rechten Arm, der immer noch auf der Gangschaltung lag.
»Wenn ich nicht bei dir bin, bekommst du es hin dir selbst mit einem Knopf das Auge auszustechen.«
Das war furchtbar übertrieben, und das sagte ich ihr auch.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte mich wütend nieder.
»Wie kannst du nur daran denken, dich einfach aus dem Staub zu machen ohne auch nur ein Wort zu sagen? Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert und das würde es, wenn du alleine unterwegs bist. Du ziehst Ärger fast schon magisch an. In einem Kilometer Umkreis würdest du noch die einzige Stolperfalle finden und dir wahrscheinlich irgendetwas brechen. Guck doch, wie du schon aussiehst, wenn du dich in einem dir vertrauten Gebiet alleine herumtreibst.«
Das war unfair. Normalerweise seilte ich mich nicht von irgendwelchen Klippen ab oder kroch auf allen vieren durch verdreckte Tunnel. Ich stöhnte fast schon verzweifelt.
»Keira… es ist mein Erbe. Nicht deines. Du bist dazu nicht verpflichtet, und was ist überhaupt mit deinem Vater?«
Ich hoffte, das wäre ein Argument, das sie überzeugen würde. Das war es nicht. Ihre Augen verengten sich und funkelten noch entschlossener.
»Der kommt schon ganz gut alleine klar. Und deine Pflicht ist es vielleicht auch nicht. Du weißt nicht, ob das alles stimmt. Ich lasse dich nicht alleine gehen. Ich weiß, dass ich dich nicht zum Bleiben überreden kann, also komme ich mit. Und ich werde jetzt nicht weiter mit dir darüber streiten. Du bist meine beste Freundin und wirklich nicht die geschickteste Person. Dich alleine gehen zu lassen,
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