Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
betrogen
die dem Schicksal durch eigene Wahl verloren.
Und wie beim ersten Mal, als sie den Zauber gelesen hatte, erfüllte sie wieder das Gefühl, dass diese Worte für sie und nur für sie allein geschrieben worden waren.
Mit einem enormen Unterschied: Damals war sie fünfzehn und völlig furchtlos gewesen und heute … heute war sie keins von beidem.
Sie verließ den Raum und fand Gran am Küchentisch. Ein dickes Buch mit Goldschnitt und einem abgenutzten Ledereinband lag aufgeschlagen vor ihr. Maura T’airna hatte das Familiengeschäft vielleicht nicht erlernen wollen, aber Gran hatte nie aufgehört, zu lernen. Plötzlich ging Eve auf, dass all dieses harterworbene Wissen und die Erfahrung jederzeit mit ihrer Großmutter sterben konnten. Sie hatte einmal geglaubt, dass es das Beste für alle Beteiligten wäre. Jetzt war sie sich nicht mehr so sicher, und der Gedanke daran, dass Grans Vermächtnis für immer verloren gehen könnte, erfüllte sie mit Trauer. Und Reue, dass sich die Dinge nicht anders entwickelt hatten … dass sie sich nicht anders entwickelt hatte.
Gran hob den Kopf und spähte über ihre Lesebrille. »Fertig?«
»Fertig mit dem Lesen. Aber ich muss noch nachdenken.« Eve hielt die Schriftrolle in die Höhe. »Macht es dir etwas aus, wenn ich das für eine Weile behalte?«
»Überhaupt nicht. Sie gehört rechtmäßig dir.«
»Vielleicht«, meinte Eve. »Genau das muss ich herausfinden. Aber ich bin mir über etwas anderes klar geworden. Ich werde mir vom Job freinehmen. Morgen früh rufe ich als Erstes Angela an. Mit Urlaubstagen und Überstundenausgleich habe ich fast einen Monat angesammelt. Ich hoffe, es wird nicht so lange dauern, aber egal, wie lange es dauert, ich habe vor, den Talisman von Pavane zurückzuholen. Und ich werde dafür weder den Rat noch deine Freunde um Hilfe bitten.«
Zwischen den Augenbrauen ihrer Großmutter entstand eine tiefe Falte. »Ich bin begeistert, dass du dir das zu Herzen nimmst, aber Pavane ist nicht die Art von Hexer, der man sich allein stellen sollte.«
»Ich habe nicht die Absicht, es allein zu tun. Ich stimme dir zu, dass wir niemand anderen bitten sollten, sich für uns in Gefahr zu begeben, aber wir sind nicht die Einzigen, die etwas zu verlieren haben.«
Für einen Moment schien ihre Großmutter verwirrt, dann lächelte sie. »Natürlich. Gabriel Hazard. Glaubst du, er wäre bereit, uns zu helfen?«
»Freiwillig? Nein. Aber er wird es trotzdem tun. Ich mag Hazard ja nicht gut kennen, aber ich weiß etwas über ihn, was er vergessen hat. Er ist ein ehrenwerter Mann. Wir haben einen Handel geschlossen, und er wird ihn zu Ende bringen, ob es ihm gefällt oder nicht.«
»Das wird ihm nicht gefallen«, erklärte Taggart ihr. Sie standen im Flur hinter der Haustür. »Er ist nicht gerade ein Morgenmensch, und aufgeweckt zu werden, bevor er bereit ist, wird ihn nicht erträglicher machen, besonders nachdem er erst vor ein paar Stunden ins Bett gegangen ist. Er hat sich mit diesem Netzding bis in die frühen Morgenstunden im Turmzimmer verschanzt.«
Eve beäugte ihn neugierig. »Netzding?«
»Ja, dieses Internet-Netzding, das er ständig herumträgt.«
»Oh, Sie meinen einen Laptop … einen Computer.«
»Genau«, bestätigte er mit einem heftigen Nicken. »Er saß noch lange dran, nachdem ich zu Bett gegangen war, und zu diesem Zeitpunkt war er ziemlich sauer, weil ich Pavane verloren hatte und keine Ahnung habe, wo er sich versteckt hält. Ich bezweifle, dass die paar Stunden Schlaf seine Laune verbessert haben.«
»Seine Laune ist mir völlig egal«, antwortete sie, ohne zu erwähnen, dass er nicht der Einzige war, der am gestrigen Abend für Hazards schlechte Laune gesorgt hatte. Er war auch schon ziemlich schlecht drauf gewesen, als sie gegangen war, und das aus Gründen, die überhaupt nichts mit Taggart oder Pavane zu tun hatten. »Ich muss mit ihm reden.«
Sie hätte sich nicht einmal abweisen lassen, wenn Taggarts Gesichtsausdruck seinen Worten entsprochen hätte, aber so war es nicht. Er wirkte sogar ein wenig amüsiert darüber, dass sie im Morgengrauen aufgetaucht war und verlangte, Hazard zu sehen. Tatsächlich wirkte er, als würde ihm nichts besser gefallen, als zu sehen, was dabei herauskam, den Grizzlybären zu wecken, bevor er seinen Winterschlaf beendet hatte. Und genau das hatte sie vor.
Hazard war derjenige, der sie in die ganze Sache hineingezogen hatte. Hätte sie nicht versucht, ihm beim Brechen seines Fluchs zu
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