Das Amulett der Zauberin: Roman (German Edition)
ergeben.«
»Vielleicht hatte ich unrecht. Vielleicht ergibt alles perfekten Sinn … nur nicht von einer Art, die ich verstehen kann.« Er bog nach rechts auf die Angel Street ab und warf ihr einen abschätzenden Blick zu. »Noch nicht.«
»Also, ich muss es nicht verstehen, so lange es mir bei der einzigen Sache hilft, die momentan von Bedeutung ist … Rory zu finden.«
»Und den Anhänger«, erinnerte er sie.
»Natürlich.« Ihr gelang ein beiläufiges, Muss-man-ja-nicht-extra-erwähnen-Achselzucken, um zu vertuschen, dass sie so auf Rory konzentriert war, dass sie den Anhänger vergessen hatte.
Wenn ihr Superspähzauber richtig lag, dann würden sie Rory in Prospect Terrace finden, einem kleinen Park nicht allzu weit entfernt. Aber mit der roten Ampelwelle fühlte es sich für Eve an, als würden sie quer durchs ganze Land fahren. Hazard war ihr aus dem Haus gefolgt, als bestünde überhaupt kein Zweifel daran, dass er mitkam. Er hatte ihren Ellbogen gepackt und sie entschlossen zu seinem Auto geführt, als bestünde auch überhaupt kein Zweifel daran, dass er fuhr. Nach ihrer ersten Überraschung fand Eve sich einfach damit ab. Sie war sogar froh darüber, dass er sie begleitete – selbst wenn er es nur tat, um mit dem Anhänger eine eventuelle Investition zu beschützen. Sie fühlte sich im Luxus seines Autos sicher, mit den weichen Ledersitzen und dem sanft erleuchteten, techniküberladenen Armaturenbrett. Wenn sie nicht nervös genug gewesen wäre, um jeden Moment aus dem Auto zu springen, hätte sie sich vielleicht zurückgelehnt und die Fahrt genossen. Stattdessen saß sie vornübergebeugt auf ihrem Sitz, die Hände zu Fäusten geballt und gab ihm Wegbeschreibungen, die er anscheinend nicht brauchte.
Prospect Terrace lag in dem Teil der Stadt, der als College Hill bekannt war, weil es dort mehrere Colleges gab. Der Park lag auch in der Nähe der Braxton Academy, der Privatschule, die Rory besuchte. Als Hazard am Straßenrand parkte, fragte sich Eve, ob Rory vielleicht einfach nur mit ein paar Freunden abhing und das Verschwinden des Anhängers gar nichts mit ihr zu tun hatte. Vielleicht war sie voreilig damit gewesen, hier eine Verbindung herzustellen. Vielleicht hatte derjenige, der behauptet hatte, es gebe keine Zufälle, unrecht, und das Ganze – Rory, der Anhänger, das Haus – war einfach alles nur ein riesiger, komplizierter Zufall. Das erklärte natürlich immer noch nicht, was mit dem Anhänger geschehen war … aber das Wichtigste zuerst.
Sie sprang aus dem Auto, während der Motor noch lief, und ließ ihre Augen über die Grasfläche wandern, die einen guten Block lang und halb so breit war. Es gab nicht viel zu sehen, nur verstreute Bänke, hohe, alte Bäume und die Skyline der Innenstadt. Da der Park auf einer steilen Anhöhe lag, wurde er zur City hin von einem hüfthohen Eisenzaun begrenzt, der verhinderte, dass jemand die ungefähr zehn Meter hohe Felswand hinunterfiel. Auf einem Sockel außerhalb des Zauns stand eine große Statue von Roger Williams, der über das Land blickte, das er gegründet hatte.
Zuerst schien der Park wie ausgestorben, und in Eves Kehle bildete sich ein enttäuschter Knoten, der ihr das Schlucken schwermachte. Dann ging sie einen der Wege entlang bis zu einer Stelle, wo keine Bäume den Blick verdeckten, und sah gegen den dämmrigen Himmel eine Silhouette. Rory … Eve erkannte sie an der Art, wie sie stand und den Kopf hielt, und fing an zu laufen.
Rory war nicht allein. Bei ihr war ein Junge, ein großer, schlaksiger Kerl auf einem Fahrrad. Als sie hörten, dass jemand auf sie zurannte, zuckten sie zusammen und drehten den Kopf in ihre Richtung. Abseits der Laternen war es dunkel, also war Eve schon fast bei ihnen, als Rory aufging, dass sie es war. Sofort riss sie überrascht und fast schon entsetzt die Augen auf und biss die Zähne zusammen. Es war die klassische Wie-kannst-du-mir-das-antun-Pose eines Teenagers, der von seinen Eltern – oder einem gleichwertigen Familienmitglied – in der Öffentlichkeit überrascht wird.
»Eve! Was tust du hier?«
Rory klang nicht begeistert. Eve war es egal. Sie bemerkte es kaum. Sie war zu sehr damit beschäftigt, erleichtert und überglücklich zu sein, dass Rory nicht gefesselt und geknebelt auf dem Boden lag oder gerade von Lasern angegriffen wurde oder noch Schlimmeres. Wie eine frischgebackene Mutter, die die Finger und Zehen ihres Säuglings bestaunt, machte Eve eine schnelle Bestandsaufnahme:
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