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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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jetzt um die zehn Jahre alt sein, verharrte jedoch unverändert auf dem
    geistigen Stand eines höchstens Fünf jährigen, der noch dazu unfähig war, sprechen zu lernen,
    und wahrscheinlich würde das für immer so bleiben. Mit Emma hatte er zum zweiten Mal in seinem
    kurzen Leben die Mutter verloren. Aus Gründen, die mir ewig unklar blieben, war ich seine große
    Liebe, aus seiner Sicht sogar fähig, den Verlust Emmas emotional auszugleichen. Bloß sah es
    leider so aus, als könnte auch ich nicht bleiben. Was sollte aus ihm werden?
    Arvid hatte ihn nie gewollt, sich nie um ihn gekümmert. Was sollte er in seiner Situation
    anfangen mit einem geistig behinderten kleinen Jungen?
    Ein Heim, dachte ich, nun wird wohl endgültig nichts anderes übrig bleiben, als ihn tatsächlich
    in ein Heim zu geben. Mir war nicht wohl bei diesem Gedanken. Aber was hätte ich schon tun
    können?«
    Bis zum Abend strahlte das Haus vor Sauberkeit, die klamme Luft war jetzt
    warm und trocken, es roch nach dem Holz, das in den Kaminen brannte, und nach dem Essen, das
    ich vorbereitet hatte. In den Fenstern leuchteten Kerzen. Ich hatte außerdem Nobody gebadet und
    ihm frische Kleider angezogen und auch mich selbst so hübsch wie möglich gemacht. Es sollte
    Arvid zumindest schwer fallen, mich fortzuschicken. Draußen fielen dicke Schneeflocken. Drinnen
    lagen zwei schnurrende Katzen auf dem Sofa im Wohnzimmer. Arvid musste die Veränderung einfach bemerken, wenn er nach einem
    langen, harten Tag müde und verfroren zurückkam.
    Als ich seine Schritte vor der Tür hörte, stand ich auf, strich meinen Rock glatt und trat in
    den Flur hinaus, ein erwartungsvolles Lächeln auf den Lippen. Ich vernahm das Poltern, mit dem
    er sich den Schnee von den Schuhen trat.
    Die Tür ging auf, und zwei Männer traten ein. Es waren Arvid und Harold.
    »Lass uns offen miteinander reden«, sagte Harold. Er sah müde aus, und er war nüchtern.
    Letzteres war ich an ihm kaum gewöhnt. Er schien mir verändert.
    Wir saßen in der Küche. Arvid hatte es sich im Wohnzimmer gemütlich
    gemacht, Nobody hatte ich ins Bett geschickt, aber ich meinte gelegentlich ein Scharren auf der
    Treppe zu hören, das mir verriet, dass er sich dort herumdrückte und
    wahr scheinlich wieder meine Nähe suchte. Wir hatten alle zusammen
    gegessen, wobei ich fast keinen Bissen heruntergebracht hatte und mich nicht einmal hatte
    freuen können, dass Arvid meine Arbeit vom Nachmittag lobte - auf seine wortkarge Art. »Sieht
    schön aus, das Haus. Dein Essen schmeckt.«
    Er und Harold hatten einander am Hoftor getroffen. Arvid war von einer der Schafweiden
    zurückgekehrt, Harold hatte den Weg von der Bushaltestelle hinter sich und war tief erleichtert
    gewesen, auf eine menschliche Behausung zu stoßen. Vermutlich hatte Arvid sofort geahnt, wen er
    da vor sich hatte.
    »Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst«, fuhr Harold nun fort. Seine Hände lagen vor
    ihm auf dem Tisch, nervös ineinander verknotet. »Wobei ich keine Ahnung habe, weshalb das der
    Fall ist, denn ich habe dir schließlich nichts getan ... aber es ist, wie es ist.« Ich sagte
    nichts. Was hätte ich auch entgegnen sollen? »Was mich betrifft, ich würde ja notfalls sagen,
    bleib hier, wenn Mr. Beckett damit einverstanden wäre, aber ich würde das keineswegs für eine
    glückliche Lösung halten, und ... Na ja, ist auch ganz gleich, was ich denke. Fiona, es geht
    nicht. Wegen deiner Mum. Ich kann dich nicht hier lassen. Sie würde nicht damit
    zurechtkommen.«
    »Sie ist fast zwei Jahre lang damit zurechtgekommen«, sagte ich. »Da hatte es auch einen Sinn,
    dass du hier warst. Du warst in London bedroht. Jetzt ist das nicht mehr der Fall.«
    »Der Krieg ist noch nicht vorbei.«
    »Er wird nicht mehr lange dauern«, prophezeite Harold. »Den Deutschen läuft das Glück davon.
    Sie sind bald am Ende.« Das interessierte mich kein bisschen im Augenblick. Harold kramte ein
    Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich habe mir
    freigenommen, um hierher zu kommen«, sagte er, »und deiner Mum habe ich dicke Lügen erzählt,
    weil sie natürlich merkt, dass ich sie zwei Tage lang nicht im Krankenhaus besuche. Sie soll
    auf keinen Fall wissen, dass du abgehauen bist. Sie darf sich nicht aufregen.«
    »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
    »Ich wusste es nicht. Aber ich konnte es mir denken.«
    »Du hättest nicht kommen müssen.«
    »Und was soll ich deiner Mum sagen?

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