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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Blut in meinem Mund. Ich weiß noch, dass ich mich nicht
    bewegen konnte, überhaupt nicht. Manchmal sah ich Menschen, die ich noch aus meiner Londoner
    Zeit kannte, und Tiere, die sich um mich herum bewegten. Ich muss hohes Fieber gehabt haben.
    Ich war überzeugt, zu sterben. Ich war nicht in Panik deswegen, aber verwundert. Ich dachte die
    ganze Zeit über, dass ich mir das Sterben anders vorgestellt hatte, aber ich kam nicht darauf,
    wie es hätte aussehen sollen. Nur anders. Einfach anders.«
    Leslie schluckte. »Wann hat man Sie gefunden?«
    »Am späten Montagnachmittag. Achtundvierzig Stunden nachdem Gordon McBright
    wie ein Wahnsinniger über mich hergefallen und praktisch jeden Knochen in meinem Körper
    zerschlagen hatte. John, mein Mann, war am Sonntagnachmittag zur Polizei gegangen, aber die
    nahmen die Sache noch nicht so ernst. Sie vermuteten Ehestreitigkeiten, oder dass es mich zu
    meinem Clan heimgezogen hätte. John
    musste in der Personenbeschreibung ja angeben, dass ich Pakistani bin. Ich kann es nicht
    beweisen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Umstand das Interesse der Polizei noch
    mehr erlahmen ließ. Mischehen stand man damals sowieso äußerst skeptisch gegenüber, man ging
    davon aus, dass sie einfach nicht funktionieren konnten. Die dachten, ich sei durchgebrannt,
    und hielten John wahrscheinlich noch für einen besonderen Trottel, weil er sich überhaupt mit
    mir eingelassen hatte. Jedenfalls passierte zunächst überhaupt nichts. John selbst telefonierte
    ohne Pause in der Gegend herum, fragte die entferntesten und abwegigsten Bekannten, ob sie
    etwas von mir gesehen oder gehört hätten. Da mein Auto nicht vor dem Haus parkte, war es klar,
    dass ich irgendwohin aufgebrochen sein musste. Aber wo hin? John zermarterte sich das Gehirn. Wir hatten keinen Streit gehabt,
    nichts. Es hätte ein Wochenende sein sollen wie jedes andere auch. Es gab keine Unfallmeldung
    bei der Polizei, trotzdem rief John jedes Krankenhaus in Nordengland an und fragte, ob eine
    junge pakistanische Frau eingeliefert worden sei. Erst am Montagmittag fiel ihm die Geschichte
    mit Gordon McBright ein. Er informierte sofort erneut die Polizei, die einen höchst skeptischen
    Beamten losschickte, der, so John, seinen Unwillen darüber, bei Kälte und Schneeregen eine
    einsame Farm aufsuchen zu müssen, deutlich äußerte. John fuhr ebenfalls dorthin. Natürlich
    sahen sie sofort mein Auto, und dann kam endlich Bewegung in die Sache. Dem Polizisten wurde
    von McBright die Tür vor der Nase zugeschlagen, aber kurz darauf entdeckte er den sterbenden
    Brian Somerville im Schafstall, und nun forderte er Verstärkung an. Na ja, und das war es dann.
    Sie durchkämmten die Umgebung und stießen schließlich auf mich. Zu diesem Zeitpunkt war ich
    aber schon länger nicht mehr aus meiner Bewusstlosigkeit aufgewacht. Ich habe nichts
    mitbekommen. Erst einen Tag später im Krankenhaus kam ich wieder zu mir.«
    Sie verstummte. Es dauerte eine ganze Weile, bis Leslie wieder etwas sagen konnte. Sie fühlte
    sich benommen und geschockt, und plötzlich wünschte sie, sie wäre nie hierhergekommen. Oder
    hätte nie die Briefe ihrer Großmutter an Chad Beckett gelesen. »Ich vermute«, sagte sie
    schließlich, »dass für Brian jede Hilfe zu spät kam? Er ist gestorben, nicht wahr? Er ist
    gestorben, weil meine Großmutter und Chad Beckett ... « »Wahrscheinlich wäre es ihm zu wünschen
    gewesen«, meinte Semira, »aber nein, er ist nicht gestorben. Die Ärzte haben ihn gerettet, und
    vermutlich hatte er eine wirklich zähe Konstitution. Er hat den sadistischen Gordon McBright
    tatsächlich überlebt.«
    »Und jetzt ... «
    »Jetzt ist er ein alter Mann«, sagte Semira. »Ich besuche ihn manchmal, aber es ist mühsam für
    mich, weil ich mich kaum bewegen kann. Er lebt in einem Pflegeheim in Whitby. Wussten Sie das
    nicht?«
    Leslie schüttelte den Kopf.
    »Nun«, sagte Semira, »Fiona Barnes wusste es. Lange Zeit kann sie nicht einmal gehofft haben,
    er sei inzwischen gestorben, denn bis vor einigen Jahren habe ich ihr zu Weihnachten immer eine
    Karte geschickt und sie an ihn erinnert, und später, als ich aufgegeben hatte, hätte sie sich
    leicht selbst informieren können. Ich hatte ihr wieder und wieder geschrieben, dass er noch
    immer auf sie wartet. Er fragt nach ihr. Er spricht sonst fast nichts, aber jeden Tag fragt er
    die Pflegerinnen, wann Fiona endlich kommt. Ich weiß von ihr, dass sie ihm im Februar

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