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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Opfer zu sein, während andere nicht einmal
    in die Nähe dieser Kategorie gerieten. Es war nicht so gewesen, dass Gwen dieses Thema nicht
    interessiert hätte, aber ihr waren andere Sorgen im Kopf herumgegangen: Was sollte aus ihr
    werden? Wie würde ihre Zukunft aussehen?
    Dave hatte im Wohnzimmer gesessen, zusammen mit Colin. Die Hunde hatten
    zwischen den beiden auf dem Teppich gelegen und geschnarcht. Jemand hatte ein Feuer im Kamin
    angezündet. Es war ein schönes Nachhausekommen gewesen, hatte Gwen empfunden, scheinbar
    schön zu mindest, denn die Situation
    würde nicht von Bestand sein und war daher von erheblich gemindertem Wert. Hunde, die
    aufsprangen und sich wedelnd und hechelnd freuten, zwei Männer, die auf die beiden Frauen
    zutraten, die Wärme des Feuers, die Behaglichkeit des Moments. Alles begrenzt und nur wie der
    Ausblick auf etwas, das hätte sein können. Ein liebevoller Ehemann, Kinder, die ihre Mutter
    jubelnd begrüßten. Stattdessen würde alles bleiben, wie es stets gewesen war. Die wenige n Ausflüge, die sie nach Scar borough unternahm,
    würden sie wieder in ein kaltes Haus zurückfuhren, in dem niemand auf sie wartete außer ihrem
    alten Vater, der von ihr und ihrem Leben und ihren Sorgen kaum etwas wusste. Niemand sonst wäre
    hier.
    Colin und Jennifer hatten sich zurückgezogen, und Chad hatte sich, wie so oft, nicht blicken
    lassen. Und nachdem sie einander eine Weile angeschwiegen hatten, hatte Dave leise gesagt: »Ich
    muss dir etwas sagen, Gwen ... «
    Sehr viel mehr als das war seitdem nicht von ihm gekommen, denn Gwen hatte erwidert: »Ich
    weiß.«
    Und er: »Ja. Dann gibt es wohl nicht mehr so viel zu klären.«
    Und sie darauf: „Nein.«
    Und dann war wieder Schweigen gewesen, aber ein Schweigen, in dem sich viel bewegte und viel
    passierte. Ein Schweigen, in dem eine Beziehung zwischen zwei Menschen beendet wurde, eine
    Beziehung, die, so dachte Gwen, wahrscheinlich nie das gewesen war, was sie hätte sein sollen,
    und doch war es auf eine ungewöhnliche Art eine Beziehung gewesen. Auf seiner Seite Berechnung,
    auf ihrer Seite Hoffnung. Vielleicht hätte es sogar irgendwie funktionieren können, wenn sie
    sich beide Mühe gegeben hätten.
    Vielleicht ... aber wie das Vielleicht am Ende ausgesehen hätte, würde sie nun niemals erfahren.
    Sie hatten beide nicht bemerkt, dass das Feuer heruntergebrannt war, aber nun wurde es
    unangenehm kühl im Raum, und das schreckte sie aus den Gedanken, denen jeder für sich
    nachhing.
    „Es ist gleich halb sechs«, sagte Dave, „und es wird nicht mehr so lange hell sein. Ich habe
    noch einen ziemlich weiten Weg vor mir bis zur Bushaltestelle ... «
    „Du kannst gern hier übernachten, wenn du möchtest.«
    »Ich denke, ich sollte lieber nach Scarborough zurück«, meinte Dave und stand auf. »Ich weiß
    ohnehin nicht, wann der letzte Bus geht. Ob überhaupt noch einer geht.«
    »Ja, und willst du dann zu Fuß laufen?«
    »Keine Ahnung«, sagte er, und sie spürte: Er will nur weg. Es ist ihm egal, was danach ist. Und
    wenn er trampen muss, Hauptsache, er ist mich los.
    Sie erhob sich ebenfalls und dachte: So kann es doch nicht zu Ende gehen! Dass er einfach
    aufsteht und geht. Dass er nie mehr wiederkommt.
    »Ich ... bitte, geh jetzt noch nicht. Ich kann jetzt nicht allein sein.«
    Das Unbehagen war ihm deutlich anzusehen, aber auch die Schuldgefühle, die er ihr gegenüber
    empfand. »Du bist nicht allein. Jennifer und Colin sind da. Dein Vater ... «
    »Mein Vater!« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Lieber Gott, er kannte doch ihren
    Vater! »Und mit Jennifer möchte ich über das alles jetzt nicht sprechen. Später. Aber nicht
    jetzt.«
    »Okay«, sagte Dave, »okay.«
    Er schaute zum Fenster hinaus. Sein Spanischkurs fiel ihm ein, aber jetzt war es ohnehin zu
    spät. Außerdem bezweifelte er, dass er an einem Tag wie diesem die Energie dafür hätte
    aufbringen können.
    »Ich kann dich später fahren«, sagte Gwen, »aber bitte, bleib noch ein bisschen.«
    Die Vorstellung, dass er ihrer Bitte aus Mitleid nachgab, war furchtbar, aber sie hatte im
    Augenblick nicht die Kraft, stolz zu sein und auf sein Mitgefühl zu verzichten.
    Die Alternative war schmerzhafteste Einsamkeit, und ganz gleich, wie sehr sie sich erniedrigen
    musste: Mitleid schien ihr noch immer das kleinere Übel.
    »Ja«, sagte Semira, »das alles löste natürlich einen riesigen Skandal aus, und die Presse
    stürzte sich fieberhaft darauf. Ich hatte

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