Das Arrangement
zurechtgelegt. Der konnte zwar nur als letzter Ausweg dienen, aber wenigstens war es etwas Handfestes.
“Was willst du tun?”, wollte Gramma Jo wissen. “Sie können dich doch nicht beschuldigen, dich selbst umgebracht zu haben.”
“Das können sie schon, es sei denn ich beweise, wer ich bin. Bis auf ein paar Eintragungen in Schulbüchern existiert Marnie Hazelton nicht. Es gibt keine Geburtsurkunde, keine Sozialversicherungsnummer, keinen Führerschein, keine Fingerabdrücke, kein einziges Dokument.”
Gramma Jo nickte ziemlich zurückhaltend.
“Sie haben gestern meine Fingerabdrücke genommen”, sagte Marnie. “Aber offensichtlich haben sie immer noch nicht herausgefunden, dass sie nicht mit denen von Alison übereinstimmen.”
“Was ist mit dem Mord an Butch? Werden sie dich nicht deshalb anklagen, wenn sie herausfinden, wer du wirklich bist?”
“Ja, wahrscheinlich, aber wenn es so weit ist, werde ich ihnen sagen, dass ich mich nur verteidigt habe. Jeder weiß, dass er mich ständig verfolgt hat.”
Der graue Himmel draußen war inzwischen fast schwarz geworden. Ein Gewitter braute sich zusammen, und dunkle Schatten fielen in das kleine Zimmer. Als Marnie aufstand, um die Tischlampe anzuschalten, hörte sie, wie über die Lautsprecheranlage das Frühstück angekündigt wurde.
“Möchtest du, dass ich dich zum Essen begleite?”, fragte sie. Sie blickte sich kurz im Zimmer um, das lediglich mit einem Bett, einem Fernseher und Sessel möbliert war. Es sah eher aus wie ein Hotelzimmer, nicht wie eine Wohnung, in der man leben konnte. Vor allem war es kaum zu vergleichen mit dem baufälligen Cottage, in dem sie beide so ein verrücktes und oft wundervolles, unkonventionelles Dasein geführt hatten.
Marnie machte sich Sorgen um ihre Großmutter. “Warum bist du hier? Bist du krank?”
“Nein, mir geht es gut. Ich bin eines Tages zu Hause ohnmächtig geworden. Als ich deshalb zum Arzt gegangen bin, meinte der, mein Blutdruck sei zu hoch. Nach deinem Verschwinden war ich wohl etwas vergesslich und durcheinander und habe nicht daran gedacht, meine Medikamente zu nehmen. Ich brauchte einfach nur ein bisschen Hilfe, und das hier schien mir ganz gut zu sein.”
“Dann bist du auf eigenen Wunsch hier? Hast alles allein arrangiert, es gesucht und dich dann hier angemeldet? Was machst du mit deinem Haus? LaDonna sagte, du hättest sie gebeten, darauf aufzupassen.”
Gramma Jo atmete tief durch. “Marnie, mach dir jetzt über mich keine Gedanken. Du bist hergekommen, um mir zu sagen, was wirklich vorgefallen ist, und um dich zu erleichtern. Und nun bin ich dran.”
Bei dem merkwürdigen Tonfall ihrer Großmutter bekam Marnie Herzklopfen. “Was hättest du denn schon zu beichten? Du hast doch gar nichts getan.”
“Bitte tu deiner alten Großmutter einen Gefallen”, sagte Gramma Jo, “und vergiss nicht, dass du mir mit deiner Heimlichtuerei das Herz gebrochen hast. Ich habe jeden Tag an dich gedacht und dafür gebetet, dass es dir gut geht.”
“Das werde ich sicher nicht vergessen. Was ich tun musste, tut mir sehr leid … aber was willst du mir sagen?”
“Ich möchte dir ein schreckliches Geheimnis anvertrauen, eines, das viel schlimmer ist als deins, und ich bete zu Gott, dass du mich verstehst und mir vergeben kannst. Die Menschen sind keine Wohltäter, Marnie. Wir schließen Kompromisse, wir tun, was wir tun müssen, und dann leben wir mit den Schuldgefühlen. Wenn wir nur den Ansatz eines guten Herzens haben, dann verbringen wir den Rest unseres Lebens damit, das wieder gutzumachen, was wir angerichtet haben.”
“Was hast du getan?”, wollte Marnie wissen.
Gramma Jo blickte gedankenverloren aus dem Fenster. “Du weißt doch, dass ich immer mit Naturheilmitteln gearbeitet habe. Vor vielen Jahren, bevor du zu mir kamst, hatte ich eine Kräutermischung entwickelt, um bei Frauen die Periode einzuleiten.”
“Du meinst, wenn sie zu spät kommt?”
“Im Grunde war es mehr so etwas wie eine Pille danach, die man einnahm, bevor die Periode fällig war. Wie auch immer, es hatte sich schnell im Ort herumgesprochen, dass ich Frauen in Not helfen konnte und sie kamen in Scharen zu mir. Ich machte mir Sorgen wegen der Verträglichkeit, aber diese Frauen waren so verzweifelt, dass ich es ihnen nicht abschlagen konnte.”
“Du hast ihnen diese Mischung verkauft?”
Marnie bemerkte, wie ihre Großmutter ständig an ihrem Manschettenknopf fingerte, als wolle sie sichergehen, dass er
Weitere Kostenlose Bücher