Das Auge der Seherin
in die Sänfte gehoben. Vesputo befahl, ihr jede Sorgfalt angedeihen zu lassen, und forderte die Menschen auf nach Hause zu gehen, die Königin sei krank.
Zurück in den Gemächern des Königs ging Vesputo nachdenklich auf und ab.
Toban hatte Dreea zu viel Gift verabreicht, sie beinahe umgebracht. Er sollte ihr nur so viel geben, dass sie nicht zur Hochzeit kommen konnte. Ihre öffentlich ausgesprochene Behauptung, sie würde unter Drogen gesetzt (und Vesputo war sicher, dass nicht nur er ihre Worte gehört hatte), machte es unmöglich, weiter so zu tun, als würde sie langsam dahinsiechen. Vesputo fluchte.
Noch ein paar Monate und sie wäre still verschieden. Was sollte er tun? Das Volk liebte seine sanfte Königin. Wenn sie jetzt stürbe, würden Gerüchte wach und Fragen gestellt werden. Zu viele Fragen könnten einen Bürgerkrieg auslösen, ein schlechter Start für einen neuen König. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, seine Macht zu verteidigen, erst musste sie gefestigt werden. Wusste Dreea, welchen Einfluss sie besaß? Was wäre geschehen, wenn sie darauf bestanden hätte, den Sarg öffnen zu lassen? „Am liebsten würde ich sie töten", sprach er zum Feuer.
Diese Königin hatte nie nach Macht gestrebt, selbst als sie Macht hatte. Im großen Spiel des Lebens war sie die Königin, aber das war ihr nicht bewusst. Sie verhielt sich, als sei sie nur ein Bauer. Er ließ Toban rufen.
„Du hast ihr zu viel gegeben! Ich wollte keinen öffentlichen Skandal!"
„Verzeihung, mein Herr. Ihre Natur ist zarter als ich dachte."
„Und? Wird sie leben? Ohne deine Verabreichungen? Denn du darfst nie mehr in ihre Nähe kommen. Niemand darf unsere Spur zurückverfolgen, wer immer sie behandelt."
Ja. Ohne Drogen wird sie noch eine Zeit lang krank sein, aber sie wird sich bald wieder erholen. Faben, der Arzt, hat einen guten Ruf. Habt Ihr beschlossen, sie am Leben zu lassen, Herr?"
„Sei nicht so roh, Toban. Ja, sie soll leben. Sie ist nur eine Frau, die Gebete herunterleiert und Wandbehänge webt. Nach dem, was heute geschehen ist, könnte ihr Tod mich in Schwierigkeiten bringen. So, wie die Dinge stehen, muss ich mir überlegen, wie ich auf den Vergiftungsvorwurf reagieren soll." Vesputo starrte nachdenklich ins Feuer. Dann lächelte er.
„Ich werde überall erzählen, wir hätten Irene als Komplizin von Landen überführt. Die beiden hätten geplant, die ganze königliche Familie umzubringen. Auch Torina hätte wahrscheinlich Betäubungsmittel von ihr bekommen, die ihren Geist verwirrt und sie in den Selbstmord getrieben haben." Toban sah Vesputo bewundernd an. „Ich habe Irene in einem Anfall von Wut und Schmerz getötet", fuhr Vesputo fort. Er zog die Augenbrauen hoch. „Das wird ihr Verschwinden erklären.“
10. Kapitel
Die sechzehnjährige Lindsa streute Futter für die Hühner aus. Gierig pickten die gackernden Vögel die Körner auf und scharrten im frostigen Boden. Ihr Blick schweifte über die Bäume am Hang und wohl zum tausendsten Mal fragte sie sich, warum ihre Eltern ausgerechnet direkt am Fuß der Berge hatten bauen wollen. Sicher, zu diesem abgelegenen Ort verirrten sich keine unerwünschten Besucher, wie sie sagten. Hierher kam sowieso kaum jemals Besuch.
Lindsa lebte auf die Markttage hin, wenn sie den langen Weg ins Städtchen ging, um Obst und Gemüse zu verkaufen oder gegen das Notwendigste einzutauschen. Dann blieb sie den ganzen Nachmittag und scherzte und plauderte mit den anderen jungen Frauen. Manchmal begegneten ihr auch Soldaten aus dem Heer von König Ardesen, an denen sie ihr Lächeln erprobte. Aber zu Hause war nichts los. Hier gab es nichts als Bohnen, Kürbisse und Bäume.
Mit dem Sonnenuntergang war es empfindlich kalt geworden. Lindsa verstreute den Rest des Futters. Zwischen den Bäumen nahm sie eine leichte Bewegung
wahr. Sie schirmte die Augen ab und spähte durch das Abendlicht. Manchmal kamen Tiere bis hierher und Lindsa liebte Tiere. Sie setzte den Korb wieder ab und ging zum Wald.
Aus den Bäumen stolperte eine abgerissenen Gestalt auf sie zu. Ein Junge in merkwürdigen Schuhen und Hosen, die irgendwie fremdländisch aussahen. Über seinen Schultern lagen alte Decken. Seine Augen leuchteten glasig im goldenen Licht der untergehenden Sonne, seine Haut war hektisch gerötet. Er schien etwas sagen zu wollen, brachte jedoch nur einen krächzenden Ton über seine aufgesprungenen Lippen. Dann sackte er direkt vor ihren Füßen zusammen.
Lindsa rannte zum Haus und
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