Das Auge der Seherin
gewarnt hat, diese Person ist von unschätzbarem Wert." ,Ja, ein unwiderlegbarer Beweis." „Der dir das Leben gerettet hat."
,Ja, und dir auch, Gott sei Dank." Dahmis blickte zum Himmel. „Noch ist es nicht überstanden. Ich muss entscheiden, was weiter zu tun ist."
„O ja. Die Bürde des Oberkönigs." Michals Augen sprühten wieder, doch dann fragte er ernst: „Wirst du Vesputo angreifen?"
„Nein. Das wäre eine unnötige Verschwendung und könnte das Gleichgewicht unserer Bündnisse zerstören. Wer würde einem Friedensfürsten trauen, der seinen nächsten Nachbarn bekriegt?"
„Willst du ihm nicht einmal eine Warnung zukommen lassen oder wenigstens deine Bündnisverhandlungen unterbrechen?"
„Doch." Dahmis zog die Königsrobe um seine breiten Schultern. „Doch. Eine Warnung muss sein."
Dort stand der schwer bewachte Archelder. Seine Arme waren auf den Rücken gefesselt und seine Füße zusammengebunden. Larseid übergab seinem König das beschlagnahmte Stilett.
„Die Spitze ist vergiftet, wenn ich mich nicht irre." Er richtete die Waffe auf den Gefangenen. „Ein seltsames Geschenk von einem friedlichen Nachbarn." Der Mann starrte von ihm auf Michal. „Ihr seid der König?"
„So ist es." Dahmis wandte sich an seinen General. „Larseid, habt Ihr ihn durchsucht?"
„Er hat Papiere bei sich, die ihn tatsächlich als Gesandten Vesputos ausweisen. Sein Name ist Toban Avula." „Toban." Dahmis untersuchte das Stilett, wobei er sorgsam die Spitze von seinem Körper abgewandt hielt. Toban sah ihn argwöhnisch an. „König Vesputo hat dich geschickt mich zu töten?"
„Nein, mein König. Dieser Schwindler hat mich angegriffen."
Dahmis erhob eine Hand. „Warum hast du diese vergiftete Waffe nach Glavenrell gebracht?" „Als allein Reisender weiß man nie, wann man sich schützen muss. Eure Straßen sind für einen Fremden nicht sicher."
„Meine Straßen sind nicht sicher? Warum hast du versucht, den König zu töten?", fragte Dahmis streng. „Das war nicht gegen Euch gerichtet, mein Herr." Dahmis sah den Mann forschend an. Harte, intelligente Augen in einem hübschen Gesicht. Vineda hatte gesagt, diesem Mann dürfe er keine Sekunde trauen. Dahmis glaubte ihr, denn seine Augen erzählten eine lange Geschichte von Verderbtheit und Grausamkeit. Der König fühlte sich wie ausgelaugt. Ihn schwindelte
bei dem Gedanken, dass er gerade einer tödlichen Begegnung entkommen war, und die Erleichterung war groß, dass das Leben seines besten Freundes verschont geblieben war. Nun war sein ganzes diplomatisches Geschick erfordert.
Zeugen dieses seltsamen Geschehens waren eine Hand voll ausgesuchter Vertrauter. Den Vorfall öffentlich zu machen, war unklug. Toban gefangen zu setzen, konnte schwer wiegende Folgen für sein neues Bündnis haben. Vesputo käme dieser Anlass sicher gelegen, um einen Keil zwischen die verbündeten Königreiche zu treiben.
Alles muss genau zusammenpassen. Ich kann ihn unmöglich zu Vesputo zurückschicken. Ihn einzusperren wäre politisch zu riskant.
Der spitze Dolch wog schwer in seiner Hand. Wie er das Problem auch anfasste, schien es falsch zu sein. Dieser Mann konnte das Ende seiner vielen Pläne bedeuten. Was sollte er tun?
„Du hältst mich wohl für einen Narren?", sagte der König leise.
„Nein, Herr. Ich werde zu Unrecht festgehalten. Ich verlange, nach diplomatischen Regeln behandelt zu werden."
Dahmis tobte innerlich vor Wut. Dieser Mann spekulierte auf seine sprichwörtliche Gerechtigkeit. „Das galt also nicht mir?", fragte Dahmis und hob das Stilett ein wenig höher.
„Nein, mein König." Dahmis trat näher. „Nein?" „Nein, Herr."
„So gilt es auch nicht dir", sagte der König und mit einem Ausfallschritt trieb er die scharfe Spitze des Dolchs in Tobans Schulter.
„Dein König muss eine Botschaft erhalten und du bist der richtige Mann sie zu überbringen", rief er und zog die Klinge heraus.
Augenblicke später begann der Mann sich zu winden und vor Schmerz und Empörung zu schreien. Der König und seine Krieger traten zurück und beobachteten sein Sterben.
„Als allein Reisender weiß man nie, wann man sich schützen muss", murmelte der König.
Torina kauerte am Kamin und versuchte, ihre trüben Gedanken zu verscheuchen. Wie jeden Tag flehte sie ihre Zauberkugel an, ihr ein Zeichen von Landen zu geben. Doch der Kristall blieb stumm. Von der Tür kam ein schwaches Klopfen. Ein ihr unbekanntes Klopfen. Das Klopfen von Tesh, Anna und Lindsa, den
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