Das Auge der Seherin
sah auf die kahle Landschaft hinaus. Die Langeweile war nicht auszuhalten. Am liebsten hätte er auf irgendjemanden eingeschlagen.
Hinter ihm waren Rufe zu hören. Verärgert drehte Beron sich um. Diese neuen Wachen waren wirklich Grünschnäbel. Sahen aus, als seien sie gerade erst den Kinderschuhen entwachsen. Wie sie mit ihrem „Halt" und „Wer da?" herumstolzierten!
Beron vergaß, dass er sich in ihrem Alter schon als ganzer Mann gefühlt hatte.
Auf der Treppe zum Hof stand ein riesiger Mann in desantischer Kleidung und Lederrüstung. In der Hand hielt er ein Seil, das um den Hals eines zerlumpten Mannes gebunden war.
„He, ihr Wachen, aufgepasst!", brüllte der große Mann. „Ruft den König heraus!"
Beron drängte sich vor die Wachen. „Der König ist heute zu beschäftigt, um sich mit solchem Gesindel abzugeben", schimpfte er. Die Soldaten lachten.
„Zahlt er nun ein Kopfgeld oder nicht?", schrie der Fremde.
„Kopfgeld? Ha!", spottete Beron. „Was für ein Kopfgeld? Das einzige Kopfgeld, das König Vesputo ausgesetzt hat ist ..."
Der ungeschlachte Kerl ruckte an seiner Leine. Der abgerissene Gefangene stolperte nach vorn. Seine Stiefel waren voller Löcher, seine Hände auf den Rücken gebunden. Sein stämmiger Wächter riss ihm die Kapuze vom Kopf. Beron glotzte ungläubig, als Landens Gesicht darunter zum Vorschein kam. Landen. Tatsächlich. Der Dreitagebart und der Schmutz konnten ihn nicht täuschen. Die Augen hatten immer noch diesen beunruhigenden, feurig kalten Glanz wie damals, als sie noch Jungen waren.
„Landen." Er starrte den Gefangenen an und dachte an die vielen Demütigungen, die er hatte erdulden müssen. Landen blickte ihn an, als sei Beron nichts weiter als eine lästige Fliege.
„Also", wollte der Kopfgeldjäger wissen, „was ist jetzt mit der Belohnung?"
Aufgekratzt schlug Beron dem Kerl auf die Schulter. Diese Neuigkeit würde Vesputo aufmuntern! „Mein Freund, deine Belohnung soll dir mit Zinsen gezahlt werden!" Er ergriff Landens Halfter. Der Riese reckte die Faust.
„Stopp!", drohte er. „Ich habe ihn gefangen. Ich werde ihn auch abliefern."
Beron zuckte die Achseln. „Wie du willst. He du, Soldat. Lauf zum König."
Vesputo ging auf den Kopfgeldjäger zu. Ein finsteres Lächeln spielte um seinen Mund.
„Ihr seid also der Held, der diesen Mörder gefangen hat?"
„So ist es, Herr."
„Willkommen. Willkommen auf meinem Schloss! Nennt mir Euren Namen, guter Freund." „Corbin. Aus Desante."
„Desante. Das hatte ich vermutet, da hat er sich also die ganze Zeit vor uns versteckt." Zufrieden ließ er seinen Blick auf Landen ruhen. „Während ich feiere, Landen, wirst du ein hartes Lager haben." Landen schwieg.
„Heute Abend werden wir feiern, Corbin. Ihr werdet doch dabei sein?"
Corbin schien hocherfreut. „Aber gibt es auch Wein?", fragte er in seinem abgehackten, ausländischen Tonfall.
Vesputo lächelte freundlich. „Bei einem Fest? Ein Mann Eures Kalibers sollte niemals Durst leiden müssen. Alles was Ihr wünscht, und dann sprechen wir über weitere Kopfgelder, die sich ein Mann mit Euren Talenten verdienen könnte." Vesputo warf Beron einen freundlichen Blick zu. „Bring ihn in die Westzelle", befahl er. Beron langte wieder nach der Leine des Gefangenen, aber Corbin schlang sie sich fest um die Hand und sagte zu Vesputo: „Herr, ich kümmere mich immer selbst darum, dass meine Beute sicher eingesperrt wird." Der König lachte steif. „Wie Ihr wollt, Corbin. Hauptmann, zeig ihm die Zelle." Corbin riss am Halfter und zog Landen mit sich.
Im Festsaal des Schlosses von Archeld nahm Andris den Platz gegenüber dem König ein. Zu seiner Linken saß Hauptmann Seron, der trotz reichlichen Weingenusses finster vor sich hinschaute. Auch andere Männer waren da, alle betranken sich. Zwei Mägde huschten hin und her, trugen Essensreste ab und schenkten Wein aus. Andris hielt seinen großen Kelch hoch, damit ihm nachgeschenkt werde. Als er zum Trinken ansetzte, schwappte Wein über. König Vesputo hatte schon vier Kelche ausgetrunken. Beron und seine Kameraden grölten betrunken, doch dem König war nichts anzumerken. Andris dachte an Bellanes Anweisungen. Er war sich sicher gewesen, dass der vermeintliche Kopfgeldjäger zu einem Fest eingeladen werden würde, wenn er seine Beute abgeliefert hatte.
„Andris, du musst so wenig wie möglich trinken ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Spuk den Wein in deine Serviette, kleckere wie ein Hornochse. Nur sieh zu,
Weitere Kostenlose Bücher