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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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entschlossen. »Wir gehen mit ihr an Bord eines großen Schiffes, wo wir sie auf Deck herumführen können. Wir beide, Sie und ich, Shan.«
    Das war ein so verrückter Gedanke, daß Shan am liebsten lauthals gelacht hätte. Aber es war auch ein unglaublich wunderbarer Gedanke. Er war noch jung genug, um ein neues Leben zu beginnen. Jakli hatte ihm das Medaillon gegeben, weil auch sie wollte, daß er ins Ausland floh. Und die Lamas hatten ihm immer wieder versichert, daß Tibet zwar den Ausgangspunkt seiner neuen Inkarnation darstellte, aber niemand wissen konnte, wohin ihn sein Weg noch führen würde.
    Shan bemerkte, daß sie sich bereits in der Nähe von Yutian befanden. Plötzlich sah er eine vertraute Hügelkette am Stadtrand. Auf einem der Hügel stand ein kantiger schwarzer Wagen. Shan klopfte gegen die Scheibe, um den Fahrer des Lastwagens zum Halten zu veranlassen, und lief dann den Hügel hinauf, vorbei an der leeren Limousine.
    Er entdeckte die Anklägerin mitten auf dem Friedhof, wo sie mit einem Besen bedächtig eines der Gräber säuberte. Ihr Kostüm war ganz staubig. Man hätte sie für eine Bedienstete oder eine trauernde Angehörige halten können.
    Xu schien nicht überrascht zu sein, ihn zu sehen, und fegte noch eine Weile um das Grab herum, bis sie das Wort ergriff.
    »Das Lager Volksruhm existiert vorerst nicht mehr«, sagte sie und stützte sich auf den Besen. »Nach dem Unfall ist es nicht mehr nutzbar, mindestens für ein paar Wochen, wahrscheinlich aber bis zum nächsten Frühling.« Häftlinge mit Strafen von sechs oder mehr Monaten würden in andere Einrichtungen verlegt, und den Rest der Leute würde man freilassen.
    »Was ist mit denen, die Bao verhaftet hat?« fragte Shan.
    Diese Gefangenen kämen ebenfalls frei, bestätigte die Anklägerin, ohne aufzublicken. Dann ging sie zu einer Tasche, die in drei Metern Entfernung neben einem anderen Grab stand. Sie holte eine Videokassette daraus hervor und warf sie Shan vor die Füße.
    »Ich habe Loshi befohlen, sie solle die Kassette gefälligst zurückholen oder sich zurückgeben lassen. Andernfalls würde ich sie feuern, weil sie sich unbefugt in offizielle Ermittlungen eingemischt habe, und dann könne sie sich nie wieder zurück nach Osten versetzen lassen. Dafür würde ich schon sorgen.« Sie schob die Kassette mit dem Fuß näher zu ihm heran, schien dann die Geduld mit ihm zu verlieren und zertrat das Plastikgehäuse. Ein Ende des Bands löste sich aus den Bruchstücken, wurde vom Wind gepackt und mit solcher Wucht herausgezogen, daß es auch von der zweiten Spule abriß. Es glitt wie eine Schlange über die Gräber hinweg und wurde dann hinaus in die Wüste geweht.
    »Man hat die anderen alle als vermißt gemeldet«, sagte Xu angespannt. »Jemand behauptet, er habe mitbekommen, daß Bao in einem der Geländewagen der Einsatzkommandos zum Anwesen der Brigade gekommen sei, um Ko und den General abzuholen. Seitdem hat niemand sie mehr gesehen. Heute nachmittag haben Kriecher aus Kashi einen genaueren Blick in die Brigadebüros geworfen und dabei einen Lagerraum mit Schmuggelware gefunden. Jemand sagte, womöglich hätten sie selbst für das Unglück im Lager Volksruhm gesorgt, um Beweise zu vernichten.«
    Nikkis Ware, dachte Shan. Die Güter, die sie Nikki gestohlen hatten, als sie seine gesamte Karawane beschlagnahmten, würden ihnen das Genick brechen.
    »Man könnte die Leute leicht davon überzeugen, daß sie geflohen sind«, schlug er vor. »Daß sie korrupt waren und sich aus Angst vor einer Entdeckung abgesetzt haben.«
    Xu seufzte. »Auch dafür gibt es entsprechende Kampagnen«, sagte sie und hielt den Besen so fest umklammert, als würde der Wind sie ansonsten forttragen. »Sie müssen nach Amerika geflohen sein. Alle wissen, daß Ko eine Vorliebe für amerikanische Wagen hat.« Sie wirkte deutlich älter, als sie tatsächlich war, und hatte dunkle Ringe unter den Augen, als hätte sie lange nicht mehr geschlafen. »Das Armutsprogramm läuft wie geplant weiter«, sagte sie entschuldigend.
    »Ich weiß.«
    »Aber diese Pferde machen zuviel Arbeit. Wir werden sie nicht alle wieder einfangen.« Sie beugte sich vor und fegte weiter.
    »Es gab eine Hutmacherin, die diese Pferde sehr geliebt hat«, sagte Shan zu Xus Rücken und stellte fest, daß er einen Kloß im Hals hatte.
    Die Anklägerin hielt inne und drehte sich langsam um. »Ich habe den Bericht gelesen. Sie ist nach Norden in eine der Kohlengruben verlegt

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