Das Baby vom Deich
den Mitochondrien der Zelle befindet. Mitochondrien sind kleine Zellorganellen, die innerhalb der Zelle ihr eigenes Erbmaterial tragen. Ein Embryo erhält alle Mitochondrien von der Eizelle, ergo Mutter, und keine von der Samenzelle, dem Vater. Gendefekte, die durch Mitochondrien übertragen werden, werden daher auf alle Kinder einer betroffenen Frau vererbt. Männer geben solche Gendefekte nicht an ihre Nachkommen weiter. So eine Krankheit ist als Beispiel die Leber-Optikusatrophie. Sie tritt erst ab dem 20. Lebensjahr auf, führt zu Gewebeschwund am Sehnerv, später zur Erblindung."
"Das heißt, die Mutter ist die stärkere und es wird seltener auf Mädchen übertragen?"
"So kann man es nennen. Bei uns könnte das bedeuten, dass Silke Strehler ein Mädchen bekommen
hat."
"Nur sei mal ehrlich, woher soll sie so etwas wissen?"
"Muss nicht sie gewusst haben, sondern die Frau, die das Baby von ihr hat."
"Neben der genetischen Ursache können bei einigen dieser Störungen Umwelteinflüsse wie Ernährung oder Lebensweise für den Ausbruch der Krankheit eine Rolle spielen. Viele Erkrankungen werden erst durch das Zusammentreffen mehrerer Faktoren ausgelöst. Oft wird nur die Neigung zu bestimmten Krankheiten vererbt, die später durch äußere, oft noch nicht erforschte Einflüsse wie Ernährung oder Lebensweise zur Entwicklung solcher Erkrankungen führen. Beispiele multifaktoriell bedingter Erkrankungen sind Diabetes mellitus und Erkrankungen der Herzkranzgefäße."
"Doktor Klaasen, wer weiß denn so etwas? Meine Schwester hat zwei Kinder bekommen, aber da hat nie einer nach irgendwelchen Genen gefragt."
"Das ist in den meisten Fällen so, aber es gibt eben Fälle, wo die Frau bereits ein Kind zur Welt gebracht und dort festgestellt wurde, dass es eben erblich vorbelastet ist. Das jedoch zu erläutern dauerte Stunden. Kommen wir zu dem Lütten. Seine Mutter hat gedacht, er könnte erbkrank sein, hat deswegen der Strehler Geld für deren Kind geboten. Sie tauschen und die Strehler setzt den Jungen aus. Ihr kann ja nichts passieren, da die DNA nicht passt. Die andere Frau hingegen kann ein Kind vorweisen. Daraus schließt jedoch, dass Frau XY von einem Gendefekt wusste, entweder, weil sie bereits ein behindertes Kind auf die Welt gebracht hat oder durch Verwandte."
"Wir müssen zu den Gynäkologen und fragen, wer da infrage kommt. Das dürften ja nicht allzu viele sein, oder?"
"Gewiss nicht. Es kann jedoch jemand sein, der Kind Nummer eins in Hamburg auf die Welt gebracht hat, als Beispiel. Sie kann ihr Baby ebenfalls nicht im Klinikum bekommen haben."
"Sie kann aber vorher bei einem Gynäkologen gewesen sein?"
"Das ja! Weiter heißt das, dass das Kind von der kleinen Strehler nicht unbedingt am Mittwoch zur Welt gekommen sein muss."
"Vadding, hör auf. Das wird immer diffuser und komplizierter", stöhnte Eike.
"Besuchst du den Lütten nachher?"
"Werd ich wohl, jedenfalls, bis das geklärt ist." Sofort besserte sich seine Laune. "Ihr habt ihn besucht?"
"Wir wollten wissen, wie er so ist. Eventuell wohnt er bald bei uns."
"So wie es aussieht, wohl eher nicht. Die Dame vom Jugendamt hat mir da wenig Hoffnung gelassen. Jetzt muss erst einmal geklärt werden, wer zumindest die Mutter von dem Lütten ist."
"Würdest du ihn nehmen, obwohl er unter Umständen krank werden könnte?"
"Logisch. Ich gebe mein Kind nicht weg, nur weil er krank werden könnte. Es kann immer etwas passieren."
Andreas und Birte schauten sich an, schmunzelten. "Dann wirst du dich sicher freuen zu hören, dass deine Mutter und ich gute Chancen haben, ihn vorerst als Pflegekind zu bekommen."
"Wie bitte?"
"Eike, dass du schlechte Karten hast, war uns klar. Mudding sagte, wir probieren es. Deswegen haben wir ihn uns angesehen. Er ist nüddelich."
Eike strahlte über das ganze Gesicht. "Ihr seid verrückt, aber unbe- schreiblich lieb." Er gab beiden einen Kuss.
"Freu dich nicht zu früh, noch ist es nicht entschieden, aber sie meinte, wir haben sehr gute Chancen. Opa und Oma waren gestern bei dem Lütten. Du siehst, alle kümmern sich um ihn."
"Ich habe wirklich die beste, liebste Familie von der Welt."
Birte erhob sich. "Vadding muss Geld verdienen, Kinder gesund machen; ich muss zur Frau Hellwig und ihr die Spritze geben."
"Wir versuchen, diesen Knoten zu entwirren."
Rolf sprach kurz mit Sabine Holsten, während er gedanklich bei dem kleinen Eike war. Die Chance, dass er den Jungen für immer behalten hätte, war trotzdem nur geringfügig. Eins nachdem
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