Das Babylon-Virus
zu ähnlich. Alyssa war ein Mensch, der blitzschnell handeln konnte, genau wie Rebecca selbst. Was die beiden unterschied, war die Bereitschaft zur Planung, zur Abwägung. Während Rebecca aus dem Bauch heraus entschied, war Alyssa eine Beobachterin. Ständig saugte sie Informationen in sich auf, und während man neben ihr saß und an nichts Böses dachte, war das Räderwerk in ihrem Hirn dabei, diese Informationen zu filtern, zu analysieren. Die ganze Fahrt über hatte sie scheinbar einfach geradeaus gestarrt, doch in Wahrheit hatte sie beobachtet .
»Was ist das?«, wiederholte Rebecca.
»So verständigen sie sich.«
Beide Frauen zuckten zusammen.
Oberst Merthes stand zwei Schritte neben dem Jeep - im toten Winkel, der nur für die beiden Schwestern ein toter Winkel war. Die Außenspiegel des Militärfahrzeugs waren eine Spezialanfertigung, mit der der Fahrer ständig sämtliche Richtungen im Blick behalten konnte. Nur dass der Fahrer sich in seiner Besprechung befand.
»Sie wissen sehr genau, dass wir ihnen technisch meilenweit überlegen sind«, murmelte der Oberst. Er trug seinen
Tarnanzug und einen Kampfhelm, den aber am Bügel in der Hand. Der Schweiß rann ihm in Tropfen von der Stirn, doch er hatte sicher nicht die ganze Zeit dort gestanden und sich die Sonne auf die Glatze scheinen lassen. Das Gebiet, in dem sein Kommando Halt gemacht hatte, war Feindesland. Er musste persönlich die Gegend ausgekundschaftet haben. Rebeccas Respekt vor dem Mann begann noch einmal zu wachsen.
Merthes’ Blick lag auf dem fernen Aufblitzen. Jetzt, für Sekunden, war nichts mehr zu sehen. Der Oberst schüttelte den Kopf. »Ob sie nun Handys benutzen würden, CB-Funk oder sonst was. Ganz gleich, welche Frequenz sie wählen würden, und selbst wenn sie verschlüsselt senden: Sie müssten immer damit rechnen, dass wir die Botschaften abfangen. Also sind sie zu einem anderen System übergegangen. Ein System, das schon die alten Römer eingesetzt haben. - Alt wie die Welt.«
Rebecca hob die Augenbrauen. Jetzt! Da war es wieder. »Spiegel«, murmelte sie.
Merthes nickte, zog ein Taschentuch aus seinem Tarnanzug, nicht etwa, um reinzuschnauben, sondern er tupfte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er seinen Helm wieder aufsetzte. »Wenn Sie eine Botschaft weitergeben wollen, von der Außenstehende nichts wissen dürfen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder müssen Sie verhindern, dass der Nachrichtenaustausch überhaupt sichtbar wird, oder aber Sie kommunizieren ganz offen miteinander, und nur der Inhalt der Botschaft bleibt dem Gegner verborgen.«
Oder beides zusammen, dachte Rebecca. Wie bei den Babylontexten.
»Und das ist der Fall?« Endlich hatte Alyssa sich von ihren Bergen abgewandt. »Sie wissen nicht, was die Zeichen zu bedeuten haben?« Ihre Fingerkuppen massierten
ihre Schläfen. Kopfschmerzen hätt ich jetzt auch, dachte Rebecca, wenn ich eine Stunde lang den Pass hypnotisiert hätte.
»Wäre eher eine Aufgabe für Sie, oder?«, murmelte der Oberst an ihre Schwester gewandt. »Für den militärischen Abschirmdienst. Zumindest wissen wir, dass sie da sind. Schon das ist ein Vorteil.«
Rebecca nickte. Das war ein Vorteil - doch war es das tatsächlich?
Ihre Augen kehrten zurück zu dem unregelmäßigen Aufblitzen. Ein Vorteil, dachte sie. Ein Vorteil wäre es, wenn die Männer dort oben nicht ganz genau wüssten, dass die ISAF sie die ganze Zeit im Auge hatte. Sie wissen, grübelte Rebecca. Sie wissen, dass wir wissen.
Was, wenn sie genau deswegen hier sind? Wenn sie wollen , dass uns ihre Anwesenheit bewusst wird.
Im Anflug auf Castel del Monte, Puglia, Italien
Amadeo saß in einem Flieger, und er genoss den Ausblick.
Das ist nicht gesund, dachte er. Wenn eine seiner zentralen Phobien, die ihn begleitete, so lange er denken konnte, mit einem Mal so gar keine Rolle mehr spielte, das konnte einfach nicht gesund sein.
Er kannte Castel del Monte. Wie oft war er hier gewesen? Achtmal, neunmal? Zum ersten Mal mit elf oder zwölf Jahren, als sein Vater noch lebte. In dem kleinen Dorf in den Abruzzen hatten seine Eltern noch zu den wohlhabenderen Bewohnern gezählt mit ihrem Weingut, das seit Jahrhunderten in Familienbesitz war, doch ein eigener Wagen war trotzdem niemals ein Thema gewesen. Dafür hatten Ruggieros Eltern einen gehabt: Ruggiero, der zwanzig Jahre später
Amadeos Schwester geheiratet hatte. Ruggieros Eltern hatten Amadeos Vater ihre Familienkutsche geliehen, und mit diesem klapprigen Gefährt
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