Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
sich zu binden, indem sie auf exquisite Qualität setzten – angefangen bei ihren Verpackungen, die sie von Spitzendesignern gestalten ließen, bis hin zur Verwendung hochwertiger organischer Inhaltsstoffe für ihre Produkte. Als der Wert des Euro den des Dollar überstieg, hatten sie sich nicht davon abhalten lassen, teure, aus Blumen gepresste Öle zu verwenden, die in Irland hergestellt wurden. In einem großen, hellen, mit gelbem Teppichboden ausgelegten Raum kümmerte sich eine Kindergärtnerin um die Sprösslinge ihrer Kundinnen. Juliette und Gwynne scheuten weder Kosten noch Mühen, eine Spitzenmarke aufzubauen.
Juliettes Erfahrungen in der Theatergruppe des Emerson College, wo sie für die Maske zuständig gewesen war, und als Autorin der Mode-Kolumne, die sie für die Zeitschrift Boston geschrieben hatte, kombiniert mit Gwynnes Kunstverstand und Geschäftssinn, hatten ihnen einen derartigen Erfolg beschert, dass sie ihre Kosmetik-Produkte mittlerweile nicht nur in ihrem Schönheitssalon, sondern in der gesamten Region verkauften.
Inzwischen waren sie beide sogar nach Wellesley gezogen, eine Kleinstadt, die sie ursprünglich nur für ihren Laden ausgesucht hatten, weil hier die nötige Kaufkraft für ihre Produkte vorhanden war, über die sie selbst damals durchaus nicht verfügt hatten. Ihre ersten Hautcremes hatte Juliette in ihrer Küche in Waltham angerührt; jetzt wurden ihre Produkte in einer kleinen Fabrik hergestellt. Seit einiger Zeit hatte jeder exklusive Schönheitssalon, den Juliette aufsuchte, die in Mattschwarz und Violett gehaltenen Produkte von juliette&gwynne im Angebot.
Tias Brief drohte alles zu zerstören, was Juliette sich aufgebaut hatte.
Juliette verzog sich ins Bad und verriegelte die Tür. Sie setzte sich auf den schwarzen Plastikstuhl und nahm die Fotos und den Brief wieder aus dem Umschlag. Nachdem sie sich das Gesicht des kleinen Mädchens und den Namen der Adoptivmutter eingeprägt hatte, stopfte sie den Brief ganz unten in ihre Tasche. Dann trat sie vor den Spiegel, zog ihren Lippenstift nach und machte sich bereit, wie jeden Morgen die Angestellten zu begrüßen.
Helena und Jai trafen als Erste ein. Die beiden waren nicht nur Kolleginnen, sie wohnten auch zusammen, kamen zusammen zur Arbeit, machten gleichzeitig Feierabend und verbrachten ihre Wochenenden gemeinsam in Bars, in denen Frauen in hautengen Kleidern verkehrten, und Männer, die diese Frauen begehrten.
Die beiden jungen Frauen waren die Augenbrauenspezialistinnen des Unternehmens. Wie jede Frau im Westen von Greater Boston wusste, waren die Augenbrauen das A und O eines Gesichts, und deshalb hatten Helena und Jai hier reichlich zu tun.
Helena, die gern die Dame von Welt gab, konnte Frauen in eine Kopie von Catherine Zeta-Jones verwandeln. Sie konnte Brauen zu einem Hauch ausdünnen, sie färben, sodass sie aussahen wie Nerz, oder einer Kundin beibringen, wie sie ihre fast nicht existenten Brauen so aufpeppte, dass sie aussahen wie die von Brooke Shields.
Juliette zog Jais minimalistischen Stil vor, wobei die Brauen gerade so weit zurechtgezupft wurden, dass die Augen besser hervortraten.
Während sie von einem Zimmer zum nächsten ging, überlegte sie, welche Möglichkeiten sie hatte. Die Pläne, die sich herauskristallisierten, würden sich lächerlich anhören, wenn sie sie in Worte fasste – nicht dass sie vorhatte, mit jemandem darüber zu reden. Aber sie brauchte Informationen. Dass sie in einem Stück mitspielte, dessen Handlung sie nicht kannte, würde ihr nie wieder passieren.
Als Nathan ihr vor sechs Jahren seine Affäre gestanden hatte, hatte sie nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollte. Viel zu lange war sie nicht in der Lage gewesen, etwas anderes zu tun, als die immer gleiche Frage zu stellen: Warum?
»Warum, Nathan? Warst du sexuell frustriert?«, hatte sie immer wieder gefragt. »Hast du dich gelangweilt? Hattest du mich satt? Was hast du gebraucht, das ich dir nicht geben konnte?«
Auf diese Fragen hatte sie nie eine befriedigende Antwort erhalten. Was hätte er ihr auch sagen können, um ihr das Unbegreifliche verständlich zu machen? »Ich war rastlos«? »Es hat mich gelangweilt, meine Zeit mit dir und den Kindern zu verbringen«? »Du hast mich zu wenig bewundert«?
Irgendwann hatte sie akzeptiert, dass es all das gewesen war und noch mehr, und dass es keine Rolle spielte, warum er es getan hatte. Was zählte, war nur, dass er es getan hatte.
Nicht seine Antworten waren
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