Das Beben
unbeachtet und entscheidungslos zu lassen, bis der Engländer, der anfänglich das Geschäft schon für fest verabredet gehalten hatte, ergebnislos mit seinen Schatullen und Kästchen abreiste.
»Ich habe keinerlei Einfluß auf Seine Hoheit«, hatte Purhoti gesagt, wenn Jenkins versuchte, ihn für den Ankauf einzunehmen. Das war vielleicht noch nicht einmal Koketterie. Macht bestand nicht in einem Sieg durch das überzeugendere Argument, sondern in der Entscheidung, welche Argumente überhaupt vorgetragen werden durften. Ich stellte mir vor, daß der wahre Grund, warum der König die Sammlung schließlich ausgeschlagen hatte, in der besonderen Natur seines Ahnenstolzes bestand. Er blickte auf die nach menschlichem Ermessen geradezu unwahrscheinliche Länge seiner Ahnenkette zurück, ohne sich für einen der Ahnen im besonderen zu erwärmen. Was an diesen Vorgängern auf dem Thron bemerkenswert war, lebte ungebrochen in ihm fort. Sein Bedürfnis, das Bild eines Mannes zu sehen, der vor ihm König von Sanchor war, entwickelte sich nicht recht. Er selbst beanspruchte für sich, der gleichsam einzige König von Sanchor zu sein. Dem Haus von Sanchor war eigen, daß sich in jeder Generation der Vorläufer im Nachfolger inkarnierte. Genau genommen saß immer derselbe Mann auf dem Thron.
In der Halle fand ich eine große, schöngewachsene Frau in hautengen schwarzen Jeans und einem ebenso engen schwarzen Oberteil, die sich unbeobachtet glaubte und forschend umsah. Als ich eintrat, hielt sie gerade eine Vase in der Hand, die auf einer englischen Stellage aus der Zeit König Edwards VII. stand, und studierte das Markenzeichen auf dem Boden – ein überflüssiges Geschäft, denn die Vase war ein geschnörkeltes »Horreur«, wie man sich ausdrückte, als das Wort Kitsch noch nicht überall herumflog, und die Manufaktur »Cripps and Sons Sheffield« sagte mir nichts; ja, ich gebe zu, auch ich habe die Vase herumgedreht, als ich zwei Stunden in dieser Halle auf den König wartete. Die Frau war keineswegs verlegen, als sie mich bemerkte. Daß auch ich ein Europäer war, machte mich in ihren Augen sofort zu ihrem Spießgesellen.
»Unbeschreiblich scheußlich«, sagte sie strahlend und stellte die Vase zurück. Sie war Hamburgerin, so viel konnte ich den wenigen Silben schon entnehmen. Aber ihre Erscheinung war südländisch mit bräunlicher Haut, großen, aber wildschweinhaft nah beieinanderstehenden Augen, kleiner gebogener Vogelschnabelnase und dickem, sportlich zerrauftem schwarzem Haar. Sie war von meiner Anwesenheit bereits unterrichtet. Ich sei der Architekt, nicht wahr?
Im Alten Fort gebe es ein Kabinett, das von oben bis unten mit pseudochinesisch gemusterten Suppentellern aus derselben Fabrik ausgekleidet sei, erklärte sie mir, in unmittelbarer Nachbarschaft von wirklich sehr qualitätvoller Miniaturmalerei. Bei Ankunft der Engländer sei hier wirklich jeder Qualitätssinn verlorengegangen.
Im ersten Augenblick waren meine Empfindungen gespalten. Diese Frau war in allem das Gegenteil von Manon. Ihr Körper war straff und trainiert, sie wirkte unerhört gesund, und trotz der Härte ihrer Augen, die durch ihr nahes Zusammenstehen etwas Durchbohrendes hatten, fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Sie war kein verfeinertes Lebewesen, sondern einfach und klar. Aber die Geste der Überlegenheit, mit der sie hier auftrat, stieß mich ab. Ich fühlte, daß ich mit ihr nur ein einziges Mal durch die verzauberte Kinderlaterne des Alten Forts gehen mußte, und alles wäre vor meinen Augen zu Ramsch zerfallen. Zwischen dem König und einer solchen Frau gab es keine Verständigung. Sie sah mich als Mitglied der eigenen Fraktion, ich aber empfand sie als Eindringling. Ich wußte, daß ich mich keinesfalls zur Welt meiner Gastgeber rechnen durfte, aber ich besaß im Unterschied zu ihnen die Fähigkeit, unter den Europäern, die ihnen alle als gleich erschienen, zu unterscheiden. Diese Menschen in ihrem Nischenkönigreich ahnten ja nicht einmal, welche Assoziationen für mich mit dem Begriff des Restaurators verbunden waren. Mit dem Restaurieren war nach dem Krieg eine sonderbare Verwandlung vor sich gegangen. Es war zur religiösen Betätigung geworden. Die Restauratoren wurden plötzlich von theologischen Begriffen wie »Wahrheit« und »Reinheit« umgetrieben. Das auf wunderbare Weise durch die Jahrhunderte in die Gegenwart gelangte Bauwerk oder Bild war für sie auf seinem langen Weg etwas Unwahres und Unreines geworden. Was es an
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