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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sprong
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der Wirtschaft so viel gerühmte und geförderte Bewegung zur »corporate governance«, die eben dem schnöden und auch gegen Mensch und Umwelt so »rücksichtslosen« Gewinnstreben Einhalt gebieten und dem wirtschaftlichen wie kulturellen Treiben ethische Grenzen ziehen sollten? Was, bitte, soll nun daran wieder falsch sein und was, vor allem, hat das wiederum mit Rhetorik, mit Shakespeare und seinem König Heinrich V. zu tun?
    Zu ersten Frage: Beim Thema »Corporate Governance« (CG) ist wichtig zu wissen, dass nicht nur der Begriff amerikanisch ist. Stil und Methode sind es auch. Zwar unterscheiden sich europäische und US-amerikanische CG-Werke nicht unerheblich voneinander – dafür sorgen schon allein die unterschiedlichen Bilanzlegungs- und sonstigen Gesetze in den beiden Erdteilen. Ähnlich und vergleichbar aber ist der Geist bzw. Ungeist dieser Werke, wenn ihre Autoren versuchen, es möglichst genau und damit möglichst richtig zu machen.
    Gerade darin aber liegt ihre prinzipielle Schwäche. Analog zur US-amerikanischen Bedienungsanleitung für die Mikrowelle, in der nach einschlägigen Schadensersatzprozessen nunmehr ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass sich diese Geräte nicht zur Haartrocknung bei Haustieren (zum Beispiel bei Katzen) eignen, bemühen sich auch die nach amerikanischem Vorbild gestrickten CG-Werke um möglichst exakte Handlungsanleitungen für möglichst viele Konfliktfälle.
    Das aber heißt: Sie stellen ein umfangreiches Gesetzeswerk materialer Normen 28
› Hinweis
dar – mit allen Vorteilen der Präzision, aber eben auch mit jenem beträchtlichen Nachteil, wie er seit dem Erlass der Zehn Gebote, dem vielleicht ältesten Katalog materialer Normen, bekannt sein müsste: Kaum jemand hält sich daran! Trotzdem behauptet fast jeder, im Recht zu sein und/oder für seinen individuellen Fall eine Ausnahme machen zu dürfen. So blüht die Auslegungs- und Ausgleichskunde, sprich: die Jurisprudenz.
    Nicht anders geht es in Unternehmen und Organisationen zu: Natürlich verbietet die Corporate Governance beispielsweise Korruption ausdrücklich. Wenn dann aber der Wunsch-Kunde zum Beispiel aus dem Nahen Osten sein Lieblingsauto als »kleine Aufmerksamkeit« von einem ganz anderen (zufällig befreundeten) Unternehmen oder gar einem Privatmann vor die Palasttür gestellt bekommt – dann ist das natürlich etwas anderes. »Alles legal, kein Gesetz verletzt!«
    Ebenso selbstverständlich verbietet die Corporate Governance unmenschliche Arbeitsbedingungen und Dumpinglöhne unterhalb des jeweiligen Landesniveaus. Wenn man aber wichtige Produktionen zu Zulieferern auslagert und dort »andere Gesetze« gelten – dann ist auch das »etwas anderes«. Und natürlich ist man dann auch in keiner Weise verantwortlich beispielsweise für eine Reihe von Selbsttötungen, zu denen sich etwa verzweifelte Mitarbeiter einer unmenschlichen Fließbandproduktion in China gedrängt sehen. 29
› Hinweis
    Aber so dramatisch muss es gar nicht sein: Auch wenn es um die Arbeitssicherheit in den heimischen Produktionsstätten, wenn es um die Gleichberechtigung von Frauen, Homosexuellen oder Behinderten (»Diversity«) geht – Leitbilder, Corporate Governance und Co. helfen in all diesen Fällen meist nur so lange weiter, wie sie den Betrieb nicht stören. Tun sie dies doch, wird nicht selten ein Weg gefunden, diese »Regelwerke« zu umgehen. Gibt es eine Alternative? Möglicherweise gibt es sie nicht – die vielhundertjährige soziale und ökonomische Realität in allen Teilen der Welt scheint diesen Schluss zumindest nahezulegen.
    Fest steht allerdings auch: Wenn dann irgendwo doch der Weg der Korruption nicht beschritten wird, wenn irgendwo ein Zulieferer wegen schlechter Arbeitsbedingungen gegen einen anderen, in diesem Punkt besseren ausgetauscht wird, wenn irgendwo die Unfallzahlen sinken, weil vorsichtiger gearbeitet wird, und wenn schließlich irgendwo eine öffentliche Veranstaltung trotz internen Drucks nicht durchgeführt wird, weil die Risiken nicht zu verantworten sind, dann hat das immer damit zu tun, dass irgendwo mindestens ein Mensch »Nein« gesagt – und gegebenenfalls mit diesem »Nein« auch sein persönliches, mindestens aber professionelles Schicksal verknüpft hat. Ein solcher Mensch ist beispielsweise der Bochumer Polizeipräsident, der – anders als sein Amtskollege in Duisburg ein Jahr später – die Durchführung der »Love Parade« in Bochum als unverantwortbar ablehnte und

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