Das Bernstein-Teleskop
nach Oxford gingen, um in der Küche vom Jordan College zu arbeiten. Dort begegneten sie Roger. Als Jordan College von den Ziegelbrennern aus den Lehmgruben überfallen wurde, mussten sie Hals über Kopf fliehen. Zu dritt bemächtigten sie sich eines gyptischen Segelboots und fuhren damit die Themse hinunter. Um ein Haar wären sie bei Abingdon Lock gefangen worden, und dann wurden sie doch bei Wapping von Piraten überfallen und ihr Boot versenkt. Sie mussten schwimmen und retteten sich auf einen Dreimastklipper. Der war gerade in See gestochen, und sein Ziel hieß Hangtschou in Kathai, wo der Kapitän Tee laden wollte.
Und auf dem Klipper hatten sie die Bekanntschaft der Gallivespier gemacht, die fremde Wesen vom Mond waren. Ein schrecklicher Sturm aus der Milchstraße hatte sie von dort auf die Erde geweht. Auf dem Schiff hatten sie sich im Mastkorb versteckt, und nur Will, Roger und sie selbst besuchten sie dort abwechselnd. Aber eines Tages trat Roger ins Leere und stürzte ins Meer.
Darauf versuchten sie den Kapitän zu überzeugen, umzukehren und Roger zu suchen. Er war aber ein hartherziger Mann, der nur an seinen Profit dachte, den er einstreichen würde, wenn er so schnell wie möglich nach Kathai segelte. So ließ er die Kinder kurzerhand in Ketten legen. Doch die Gallivespier besorgten eine Feile und ...
Und so weiter und so fort. Hin und wieder wandte Lyra sich Bestätigung suchend an Will oder die Spione. Salmakia fügte dann die eine oder andere Einzelheit hinzu oder Will nickte zustimmend, und so entwickelte sich die Geschichte wie von selbst bis zu dem Punkt, an dem die Kinder und die Freunde vom Mond den Weg ins Land der Toten gehen mussten, um dort von ihren Eltern den geheimen Ort zu erfahren, wo der Familienschatz vergraben lag.
»Wenn wir in unserem Land unsere Tode kennen würden, so wie ihr hier«, sagte sie, »dann wäre vielleicht alles einfacher. Aber auch so hatten wir Glück, bis hierher zu finden und euren Rat zu erhalten. Danke nochmals fürs Zuhören und die freundliche Aufnahme, das war wirklich nett.
Nun aber müssen wir einen Weg finden, wie wir über das Wasser gelangen, wohin die Toten gehen. Kann man hier vielleicht Boote leihen?«
Ihre Gastgeber setzten skeptische Mienen auf. Die Kinder schauten mit müden Augen von einem Erwachsenen zum anderen, doch keiner wusste zu sagen, woher man ein Boot bekommen könne.
Dann ließ sich eine Stimme vernehmen, die bisher noch nicht gesprochen hatte. Aus dem Wust von Betttüchern ertönten trockene, näselnde Laute - nicht die Stimme einer Frau und nicht die Stimme eines Lebenden, sondern die von Großmutters Tod.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, den See zu überqueren und ins Land der Toten zu gelangen«, sagte der Tod. Er hatte sich auf einen Ellbogen gestützt und zeigte mit knochigem Finger auf Lyra. »Ihr müsst eure Tode herbeirufen. Ich habe von Leuten wie euch gehört, die sich ihren Tod vom Leib halten. Ihr mögt ihn nicht, und so lässt er sich aus Höflichkeit nicht blicken. Aber er ist dennoch immer in der Nähe. Wenn ihr den Kopf wendet, duckt sich euer Tod hinter euch. Wohin ihr auch schaut, er versteckt sich sofort. Ihm genügt eine Teetasse als Versteck oder ein Tautropfen. Oder eine sanfte Brise. Nicht wie ich und meine alte Magda hier neben mir.« Er kniff sie in die welke Wange und sie schob seine knochige Hand weg. »Wir beide leben in Freundschaft und Eintracht zusammen. Das ist die Antwort auf eure Frage, das bleibt euch noch zu tun: den Tod willkommen heißen, ihn wie einen Freund empfangen, ihn in eure Nähe lassen und dann schauen, was ihr ihm abringen könnt.« Seine Worte legten sich wie Mühlsteine auf Lyras Brust, und auch Will spürte deren tödliche Last.
»Wie sollen wir das anfangen?«, fragte er.
»Ihr braucht es euch nur zu wünschen, und schon ist es geschehen.«
»Wartet«, unterbrach Tialys.
Aller Augen richteten sich auf ihn, und auch die Tode, die sich auf dem Fußboden ausgestreckt hatten, wandten ihre sanften blassen Gesichter seinem vor Leidenschaft glühenden Gesichtchen zu. Der Chevalier stand direkt neben Salmakia und legte ihr seine Hand auf die Schulter. Lyra ahnte, was er dachte: Das hier gehe entschieden zu weit, sie müssten alle auf der Stelle umkehren. Zu lange schon hätten sie der Torheit die Zügel schießen lassen.
Deshalb schaltete sie sich gleich ein: »Entschuldige«, sagte sie zu Peter, »aber mein Freund, der Chevalier, und ich, wir müssen für eine Minute nach
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