Das Bernstein-Teleskop
müssen. Aber dich trifft wirklich keine Schuld, Lyra.«
Das Mädchen glaubte schon halb, dass er damit Recht hatte. Gleichzeitig wurde ihr das Herz schwer, den armen kleinen Kerl so nahe und doch so unerreichbar zu wissen. Sie versuchte seine Hand zu fassen, doch hatte sie immer bloß Luft zwischen den Fingern. Aber er verstand ihre Geste und setzte sich neben sie.
Die anderen Geister zogen sich etwas zurück und ließen die beiden allein. Auch Will trat beiseite, setzte sich und versorgte seine Hand, die wieder zu bluten begonnen hatte. Salmakia half ihm beim Verbinden, während Tialys die Geister weiter abdrängte.
Lyra und Roger bekamen von alldem nichts mit.
»Du bist ja gar nicht tot«, sagte er. »Wie bist du hierhergekommen, wenn du noch am Leben bist? Und wo hast du Pan gelassen?«
»Ach, Roger - ich musste ihn am anderen Ufer zurücklassen - das war das Schlimmste, was ich jemals getan habe, und es tat so weh - du weißt ja, wie das ist - Pan saß da und schaute mich bloß an. Ich kam mir wie ein Mörder vor, Roger - aber ich musste es tun, sonst hätte ich nicht hierher gelangen können.«
»Ich habe die ganze Zeit über so getan, als könnte ic h mit dir sprechen«, sagte Roger. »Ich habe es mir so sehr gewünscht ... ich habe mich danach gesehnt, hier wieder hinauszukommen und mit mir alle anderen Geister. Hier ist es schrecklich, Lyra. Du hast keine Hoffnung mehr, wenn du einmal tot bist, und dann diese Vögel ... Weißt du, was die machen? Sie warten darauf, dass du dich ein bisschen ausruhen willst
- richtig schlafen kannst du hier nie, höchstens vor dich hindösen - und dann schleichen sie sich heran und flüstern dir alles Schlimme ins Ohr, was du zu Lebzeiten angestellt hast. So kannst du nichts vergessen. Sie wissen alles über dich. Und sie wissen, wie sie dein schlechtes Gewissen wecken können. Sie kennen auch alle deine schlimmen und verwerflichen Gedanken und erinnern dich daran, damit du dich vor dir selbst schämst und dich mies fühlst ... Du kannst ihnen nicht entfliehen.«
»Roger«, sagte Lyra, »hör mir zu.«
Sie senkte die Stimme und rückte näher an den kleinen Geist heran, so wie sie es früher getan hatte, wenn beide ihre Streiche in Jordan College ausheckten.
»Du weißt wahrscheinlich nichts davon, aber die Hexen - du erinnerst dich bestimmt an Serafina Pekkala - die Hexen kennen eine Prophezeiung über mich. Sie wissen nicht, dass ich davon weiß niemand hat eine Ahnung davon, denn ich habe bisher zu keinem darüber gesprochen. Als mich der Anführer der Gypter, Farder Coram, bei unserem Aufenthalt in Trollesund mit dem Konsul der Hexen, Dr. Lanselius, bekannt machte, hat mich dieser Mann einer Probe unterzogen. Er schickte mich nach draußen, um unter den vielen Wolkenkiefernzweigen, die dort hingen, denjenigen herauszusuchen, mit dem Serafina Pekkala geflogen war. Damit sollte ich beweisen, dass ich wirklich das Alethiometer lesen konnte. Ich habe also den Wolkenkiefernzweig herausgesucht und bin schnell wieder ins Haus gegangen, denn es war ziemlich kalt draußen. Der Konsul redete mit Farder Coram, und die beiden merkten nicht, dass ich sie hören konnte. Er sagte, die Hexen hätten eine Prophezeiung über mich, nach der mir vorbestimmt sei, etwas Großes und Bedeutsames zu tun und zwar in einer anderen Welt ... Ich habe nie darüber gesprochen. Vielleicht habe ich es in der Zwischenzeit sogar vergessen, denn so vieles anderes ist seither passiert. Jedenfalls war es mir ganz entfallen. Nicht einmal mit Pan habe ich darüber gesprochen, er hätte mich sicherlich ausgelacht. Erst als mich Mrs. Coulter später fing und in einen Dauerschlaf versetzte, da hatte ich einen Traum und darin bist du mir erschienen. Ich erinnerte mich an die gyptische Amme, Ma Costa - weißt du noch, mit ihrem Boot sind wir zusammen mit Simon und Hugh und den anderen losgefahren -« »Ja! Und wir sind fast bis nach Abingdon gesegelt. Das war das Tollste, was wir je gemacht haben, Lyra! Das vergesse ich nie, auch wenn ich hier tausend Jahre bleiben sollte -«
»Ja, aber hör zu - als ich das erste Mal von Mrs. Coulter fortlief, da versteckte ich mich bei den Gyptern und sie kümmerten sich um mich ... Ach, Roger, ich habe so viel erfahren, du wärest erstaunt - doch das Wichtigste ist: Ma Costa sagte, ich hätte Hexenöl in mir; die Gypter seien Wassermenschen, aber mein Element sei das Feuer. Damit, so glaube ich heute, hat sie mich auf die Prophezeiung der Hexen vorbereitet. Ich
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