Das Bernstein-Teleskop
fürchtete sich davor.
Schließlich erstarb Pantalaimons Schrei, und Kirjava sagte: »Wir müssen es ihnen also sagen.«
»Ja, das müsst ihr«, sagte die Hexe sanft.
Nach und nach verschwand die Wildheit aus dem Blick des kleinen braunen Vogels und Serafina konnte ihn wieder anschauen. Was sie nun sah, war tiefe Trauer.
»Ein Schiff ist hierher unterwegs«, teilte Serafina mit. »Ich habe es verlassen, um zu euch zu fliegen. Ich bin mit den Gyptern aus unserer Welt bis hierhergekommen. Sie werden in etwa einem Tag hier sein.«
Die beiden Vögel saßen eng nebeneinander und im nächsten Augenblick hatten sie sich in Tauben verwandelt. Serafina fuhr fort:
»Dies ist vielleicht das letzte Mal, dass ihr fliegt. Ich kann ein wenig in die Zukunft schauen und sehe, dass ihr beide noch solche Höhen erklimmen könnt, solange es Bäume dieser Größe gibt. Aber ihr werdet keine Vögel sein, wenn ihr eure endgültige Gestalt erhaltet. Schaut euch genau um und bewahrt alles im Gedächtnis. Ich weiß, dass ihr und Lyra und Will lange nachdenken müsst, aber ich weiß auch, dass ihr am Ende die richtige Wahl treffen werdet. Die Wahl selbst kann euch aber keiner abnehmen.«
Sie verharrten schweigend. Dann nahm die Hexe ihren Wolkenkiefernzweig und erhob sich in die Lüfte. Der kühle Abendwind streichelte ihre Haut, und mit ihm kamen das Funkeln des Sternenlichts und das wohltätige Rieseln des Staubs, den sie nie gesehen hatte.
Serafina flog noch einmal in das Dorf und betrat geräuschlos die Hütte der Frau. Sie wusste nichts über Mary, außer dass sie aus derselben Welt wie Will kam und bei den Ereignissen eine ausschlaggebende Rolle spielte. Ob sie aber feindselig oder freundlich war, das hätte Serafina nicht sagen können. Sie musste die Frau aufwecken, ohne sie zu erschrecken, und dafür gab es einen besonderen Zauberspruch.
Die Hexe setzte sich neben Marys Kopf auf den Boden und beobachtete sie mit halb geschlossenen Augen, wobei sie mit ihr gleichzeitig ein- und ausatmete. Schon bald erblickte sie in halb visionärer Schau die blassen Schemen, die Mary in ihren Träumen sah, und stellte ihren Geist darauf ein, wie man eine Saite stimmt. Noch eine weitere Konzentrationsanstrengung und Serafina trat selbst in die Schar der Figuren. Nun konnte sie mit der Frau sprechen und umgekehrt sprach Mary mit der gleichen spontanen Zuneigung, die wir bisweilen für Personen empfinden, denen wir im Traum begegnen.
Im nächsten Augenblick unterhielten sie sich im Flüsterton, während sie durch eine seltsame Landschaft aus Schilf und elektrischen Transformatoren spazierten. Worum es bei dieser wie im Flug verlaufenden Unterhaltung ging, daran konnte sich Mary später nicht mehr erinnern. Aber für Serafina kam nun der Moment, die Sache in die Hand zu nehmen.
»Gleich werden Sie aufwachen«, sagte sie zu Mary. »Haben Sie keine Angst. Ich bleibe bei Ihnen. Ich wecke Sie so auf, damit Sie wissen, dass Ihnen keine Gefahr droht und Sie in Sicherheit sind. Dann können wir auch richtig miteinander reden.«
Die Hexe zog sich zurück, nicht ohne die Frau aus dem Traum mitzunehmen, und erschien wieder im Haus, nun im Schneidersitz auf dem gestampften Fußboden. Marys Augen glänzten, als sie Serafina sah. »Sie müssen die Hexe sein«, flüsterte Mary.
»Ja, die bin ich. Ich heiße Serafina Pekkala . Und wie heißen Sie?« »Mary Malone. Ich bin noch nie so sanft aufgewacht. Oder träume ich noch?«
»Nein. Wir müssen miteinander reden, doch das Reden im Traum ist schwer zu steuern und noch schwerer im Gedächtnis zu behalten. Deshalb sprechen wir besser im Wachen. Wollen Sie drinnen bleiben oder mit mir draußen einen Spaziergang im Mondschein machen?«
»Ich gehe mit Ihnen nach draußen«, sagte Mary, richtete sich auf und streckte sich. »Wo sind denn Lyra und Will?«
»Die schlafen unter dem Baum.«
Sie verließen das Haus, gingen an dem Bach mit dem schützenden Blättervorhang vorbei und schlugen den Weg zum Fluss ein.
Mary beobachtete Serafina Pekkala mit einer Mischung aus Vorsicht und Bewunderung: Noch nie hatte sie eine so grazile und anmutige menschliche Gestalt gesehen. Sie sah jünger aus als Mary, obwohl Lyra doch gesagt hatte, die Hexe sei mehrere hundert Jahre alt. Nur ihr Gesichtsausdruck gab einen Hinweis auf ihr Alter, denn in ihm lag eine tiefe Trauer.
Die beiden setzten sich ans Ufer des silbrig-schwarz glänzenden Flusses. Dort teilte Serafina Mary mit, dass sie mit den Dæmonen der
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