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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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eingestehen, am allerwenigsten Helmbrecht gegenüber. Vor ihm musste sie stark bleiben, durfte weder Angst noch Schwäche zeigen. Seit sie ihn kannte, suchte er ihr weiszumachen, dass sie seines Schutzes bedurfte. Dabei war er es gewesen, der sie einst im Stich gelassen hatte. Die Augen wurden ihr feucht.
    »Vergesst nicht«, fuhr sie fort, »dass meine Familie seit Generationen im Kneiphof verwurzelt ist, auch wenn ich erst seit vier Jahren hier lebe. Und die Ahnen meines verstorbenen Gemahls, Gott hab ihn selig, stammen ebenfalls von hier. Also gelten meine Tochter und ich in den Augen unserer Mitbürger zu Recht als Einheimische. Wir gehören zu ihnen wie alle aus der Kaufmannszunft. Warum sollten wir ihren Zorn fürchten, wenn der Kurfürst auftaucht und ihren Widerstand brechen will? Gerade dann ist unser Platz hier an ihrer Seite, um für die unsrigen einzutreten.«
    Forschend sah sie ihn an, bis er sich gezwungen sah, sie ebenfalls anzusehen.
    »Ihr wisst«, fuhr sie mit bebender Stimme fort, »das Einzige, was ich fürchte, ist, mich auf jemand anderen verlassen zu müssen. Im entscheidenden Moment kann man nur enttäuscht werden. Das will ich nicht mehr erleben, niemals in meinem Leben.« Sie hielt inne und versuchte, die bitteren Erinnerungen niederzuringen. Die Bernsteinfarbe von Helmbrechts Augen schien ihr dunkler, die schwarzen Sprenkel fast völlig verschwunden. Reglos sah er sie an. Mit gefasster Stimme fügte sie hinzu: »Deshalb werde ich in Königsberg bleiben, bis der Zwist mit dem Kurfürsten beigelegt ist. Und sollte es dauern, bis meine Kindeskinder alt und grau geworden sind.«
    Vorsichtig erhob sie sich, reichte Helmbrecht das feuchte Tuch und ging davon.
    9
    D er untere Bogen beim großen G wirkte etwas eckig, dafür gelangen die restlichen Buchstaben flüssiger. Zufrieden setzte Carlotta am Ende des »Grohnert« den Punkt. Doch dann ließ sie die rechte Hand mit der Feder unschlüssig in der Luft schweben. Die Unterschrift wirkte trotz aller Mühe nichtssagend. Es juckte sie in den Fingern, noch etwas Persönlicheres hinzuzusetzen. Oder einen anderen Namen auszuprobieren. Sie wusste auch schon, welchen. Besser, sie nahm dazu Schiefertafel und Griffel zur Hand. Dann konnte sie das Geschreibsel leichter wegwischen und verschwendete kein teures Papier.
    »Lang wirst du den Namen wohl nicht mehr tragen, mein Kind.«
    Ertappt hielt sie mitten im Schreiben inne. Das Blut schoss ihr in die Wangen. Gegen ihren Willen saugten sich ihre blauen Augen an dem K fest, das sie gerade groß und kräftig auf den Schiefer gemalt hatte. Nach einer halben Ewigkeit erst wagte sie, den Kopf zu heben. Hedwig stand bereits dicht vor ihrem Pult und schien nichts von ihrer Not zu bemerken. Mit dem Kinn deutete sie auf das Schreiben, unter das sie eben erst das »Grohnert« gesetzt hatte. Die runden, hellen Augen leuchteten, die Apfelbäckchen glühten.
    »Oh, liebe Hedwig. Ich habe dich gar nicht kommen hören.« Carlotta bemühte sich um einen beiläufigen Ton. Unauffällig schob sie die Schiefertafel unter das Papier. Wenigstens waren sie allein im Kontor. Die drei Schreiber saßen mit den Mägden beim zweiten Frühstück in der Diele, und die Mutter war auf ihrem morgendlichen Gang unterwegs zur Lastadie. Nach dem Zwischenfall am Hafenkran war ihr das besonders wichtig. Carlottas Finger zitterten, als sie nach der Streusandbüchse griff. Ausgiebig streute sie Löschsand über die feucht glänzende Tinte auf dem Papier und hob es leicht an, um die Sandkörner wegzupusten.
    »Du meinst, das ist bemerkenswert, weil ich sonst immer so laut mit den Pantinen über den Steinboden schlurfe und schnaufe wie ein Walross.« Milde lächelte Hedwig, zog einen Lappen aus der Schürze und wedelte geschäftig auf dem Pult herum. »Brauchst dir keine Gedanken machen, Liebes. Ich gewöhne mir gerade das Schlurfen unserer neuen Magd zuliebe ab. Allzu oft will ich sie nicht die Fenster mit teuren Zitronen putzen sehen. Auch wenn die Idee dazu auf deinem Mist gewachsen ist.«
    Der letzte Schwung des Wischlappens fegte fast das Tintenfass vom Pult. Carlottas Hand schnellte vor und fing es gerade noch auf. Gleich hielt Hedwig sie fest und lächelte die Siebzehnjährige hintergründig an.
    »Was hast du eben mit dem Namen sagen wollen?«, versuchte Carlotta hastig, ein anderes Thema anzuschneiden, und biss sich im nächsten Moment verärgert auf die Zunge. Das war erst recht heikel. Doch es war zu spät. Hedwigs rundes Gesicht war ein

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